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Interview mit Werner Herzog im Wiener Metro Kinokulturhaus

Regisseur zu Gast und im Interview im Wiener Metro Kino
Regisseur zu Gast und im Interview im Wiener Metro Kino ©APA
Der aus Bayern stammende, legendäre Spiel- und Dokumentarfilmer Werner Herzog ("Fitzcarraldo", "Grizzly Man") kam am Donnerstagabend zur Eröffnung seiner Retrospektive im Metro Kinokulturhaus Wien.

Der oft auch als “Autorenfilmer” bezeichnete Filmemacher genießt internationalen Kultstatus, sein umfangreiches Gesamtwerk ist nun bis 1. März zu sehen.

APA: Sie sind bekannt als ein Mensch, der ungern zurückschaut. Wie geht es Ihnen mit Retrospektiven wie dieser?

Werner Herzog: Was hier in Wien stattfindet, ist ungewöhnlich. Dies ist der erste Ort weltweit, der alle meine Filme zeigt, weit über 60. Ich schaue mir ja nicht all meine Filme einen ganzen Monat lang an, sondern bin nur zur Eröffnung hier und spreche mit dem Publikum. Mehr sollte es auch nicht sein für denjenigen, der die Filme gemacht hat.

APA: Vermeiden Sie es weitgehend, Ihre früheren Filme zu sehen?

Herzog: Ich sehe sie fast nie. Manchmal gibt es Anlässe, wo ich neugierig bin, weil ein Film, den ich vor über 40 Jahren gemacht habe – “Auch Zwerge haben klein angefangen” – plötzlich in einer Strafvollzugsanstalt läuft. Da wird der Film völlig anders gesehen und aufgenommen.

APA: Ärgert es Sie, im deutschsprachigen Raum noch immer vor allem mit Ihren Werken aus den 70er- und 80er-Jahren assoziiert zu werden?

Herzog: Das kommt daher, dass Publikum und Medien meine letzten 40, 45 Filme nicht gesehen haben. Insofern starren sie wie das Kaninchen auf die Schlange auf die paar Filme, die ich mit Kinski gemacht habe. Aber das ist okay so.

APA: In den USA genießen Sie unter neuen, jungen Fans mittlerweile Kultstatus. Wissen Sie, wann und warum das angefangen hat?

Herzog: Ich weiß nicht, wie so ein Status sich ergibt, aber ich glaube, dass eine Veränderung dadurch gekommen ist, dass meine Filme auf einmal über das Internet verfügbar sind. Auf einmal sind es die 12-, 15-, 17-Jährigen, die sich ganz intensiv mit Fragen an mich wenden zu einem Film, den ich zu einem Zeitpunkt gemacht habe, als ihre Eltern noch nicht mal geboren waren. (lacht)

APA: Kennen Sie so würdigende Online-Videos oder Filme wie “Ich und Earl und das Mädchen”, in dem Teenager Ihre abenteuerliche Art zu drehen und Ihr Voiceover in bayerisch gefärbtem Englisch imitieren?

Herzog: Ja, in dem Film zeigen sie auch Ausschnitte aus meinen Filmen, oder? Es gibt so viele Leute, die im Kinobereich arbeiten, weil sie einen Film von mir gesehen haben. Der Komponist Hans Zimmer hat etwa von einem Tag auf den nächsten bei seiner Popband gekündigt und ist Komponist geworden, nachdem er “Fitzcarraldo” gesehen hat. Er hat mir selbst gesagt: “Wenn es jemanden gibt, der solchen Mut hat, so einen Film zu machen, dann kündige ich heute und werde Komponist.” Er hat mir auch für “Rescue Dawn” kostenlos die Musik geschrieben, aufgenommen und gemischt. Nachdem klar war, dass ich dann Schenkungssteuer zahlen müsste, habe ich ihm einen Dollar überwiesen.

APA: Hans Zimmer ist nun selbst schon lange im Geschäft. Wie verhält es sich mit aufstrebenden Filmemachern, die es Ihnen gleichtun wollen?

Herzog: In den letzten 20 Jahren hat sich eine riesige Lawine angehäuft an jungen Leuten, die bei mir lernen oder mit mir arbeiten wollen. Ein Gespräch mit mir in der Royal Albert Hall in London mit 3.000 Sitzplätzen war innerhalb von elf Minuten ausverkauft. Ich versuche, diesen riesigen Mengen an Leuten eine systematischere Antwort zu geben, deswegen habe ich meine eigene Filmschule gegründet, die “Rogue Film School”, die Schurkenfilmschule. Ich nehme in der Regel Leute, deren Filme zwar nicht besonders gut sind, die aber was Besonderes haben, das ich noch nie gesehen habe, wo man merkt: Da brennt einer.

APA: Es gibt also einen Wunsch nach einer Alternative zum US-Studiosystem?

Herzog: Ich glaube, ja! Ich bin aber gar nicht die Alternative. Alles andere ist ja marginal und bizarr im Vergleich zu dem, was ich mache. Auch Hollywood ist nicht das Zentrum aller Dinge; das, was ich mache, ist eher das Zentrum. “Fitzcarraldo” kann ein Studio auch mit 300 Mio. Dollar Budget nicht machen, weil keine Versicherung einen solchen Film übernehmen würde. Auch Aufnahmen wie jene von Timothy Treadwell in “Grizzly Man” kann Hollywood mit Milliardenbudgets nicht herstellen – der hat dafür elf Jahre lang unter Grizzlybären gelebt.

APA: Für Ihren jüngsten Dokumentarfilm “In den Tiefen des Infernos” haben Sie abermals auf Vulkanen gedreht. Fühlen Sie sich dem Vulkanologen im Film, Clive Oppenheimer, insofern nahe, dass Sie sich der Gefahren bewusst sind, aber immer überlegen, ob es sich lohnt, diese einzugehen?

Herzog: Ich war immer professionell in der Abwägung von Risiken. Sie dürfen da nicht drauf hinhorchen, wie ich in den Medien dargestellt werde – als der halsbrecherische Abenteurer, der seine Teams und Schauspieler an den Rand des Verderbens bringt. Ich habe einen statistischen Beweis, dass ich professionell und klug vorgehe. In 70 Filmen ist kein einziger Schauspieler verletzt worden. Es hat Verletzte gegeben, aber im technischen Team, und normalerweise war ich der Erste, der etwas abbekommen hat. (lacht)

APA: Gab es dennoch Momente wie bei Ihrem ersten Vulkan-Film “La Soufrière” (1977), wo Sie rückblickend sagen: Das hätte schiefgehen können?

Herzog: Zweimal in meinem Leben habe ich blind Lotterie gespielt: Die gesamte Südseeinsel Guadeloupe wurde damals wegen des drohenden Vulkanausbruchs evakuiert, es gab 1.400 Erdstöße die ganze Nacht über und es sah nicht gut aus. Ich habe Ton und Regie gemacht und hätte auch alleine mit der Kamera losgehen können, aber zwei Kameraleute wollten mitkommen. Sobald wir abgedreht haben, sind wir geflohen. Der Berg ist aber nie explodiert. Anders als in Indonesien, wo wir kürzlich an einem aktiven Vulkan gedreht haben. Der Vulkanologe sah mit dem Feldstecher, dass es Abbrüche von riesigen Steinen gab, die hinunterrollten, und sagte mir: Ich gebe euch 60 Sekunden, dann explodiert das Ding. Wir haben das on camera. Wenige Tage später ist derselbe Berg viel heftiger explodiert und sieben Bauern, die genau dort gearbeitet haben, wo unsere Kamera stand, sind ums Leben gekommen.

APA: Clive Oppenheimer haben Sie bereits in der Antarktis bei den Dreharbeiten zu “Begegnungen am Ende der Welt” (2007) kennengelernt. Passiert es Ihnen oft, dass eine Geschichte oder Persönlichkeit Sie zur nächsten führt?

Werner Herzog: Ja, das hat es immer wieder gegeben. Es gibt auch manchmal eine Musik, die ich 20 Filme später wieder aufgreife oder einen Dialogsatz, der 30 Filme später in anderem Zusammenhang wieder gesagt wird. Die Filme haben dadurch einen merkwürdigen anderen Zusammenhang. Das ist das Schöne an so einer Retrospektive, dass das Publikum das sehen kann. Die Themen und Storys sind sehr unterschiedlich, aber es gibt eine gemeinsame Weltsicht.

APA: “In den Tiefen des Infernos” ist für Netflix entstanden. Kommen Streamingportale einem Vielarbeiter wie Ihnen entgegen, weil sie Filme direkt ans Publikum bringen?

Herzog: Netflix wollte unbedingt etwas mit mir machen und ich sagte mir: Ich muss mich auch umsehen, wo die Entwicklung hingeht, ich will nicht nostalgisch auf Kinoverleihern verharren, die alle im Sinkflug sind. Natürlich gibt es in Hollywood Eventfilme wie “Star Wars”, die in der Regel funktionieren. Aber alles, was darunter geordnet ist, funktioniert nicht mehr so richtig. Was sich massiv entwickelt, ist die Präsenz von Filmen übers Internet. Plötzlich haben meine Filme ein Millionenpublikum. Den größten aller meiner Erfolge hatte ich auf Youtube mit einem Film über die katastrophalen Unfälle durch Leute, die nicht mehr auf die Straße, sondern auf ihr Handy schauen (“From One Second To The Next”, Anm.); der hatte innerhalb von Tagen 3,5 Millionen Zuschauer und 40.000 Highschools in den USA zeigen ihn jetzt allen jungen Leuten, die ihren Führerschein machen.

APA: Hat die Auseinandersetzung mit den Gefahren der Smartphone-Nutzung Sie zu Ihrer ebenfalls 2016 veröffentlichten Internet-Doku “Lo And Behold” inspiriert?

Herzog: Das ist eine interessante Frage. Es hat mich vielleicht daran herangeführt. Obwohl ich kein Handy besitze und die Welt nicht über Applikationen erforsche und das Internet nur ganz wenig benutze, habe ich den ersten wirklich kompetenten Film übers Internet gemacht.

APA: Was hat Sie trotz Technikaversion dazu bewogen?

Herzog: Entdeckerneugier. Das Internet ist ein ungeheuerliches Phänomen, das so viel verändert. Es hat sich so explosiv entwickelt, niemand hat es vorhergesehen. Science-Fiction spricht von fliegenden Autos und Kolonien am Mars, aber nicht vom Internet. Unsere Darstellung von “Selbst” hat sich weitgehend verändert – wie wir die Welt erforschen. Kinder buddeln kein Loch mehr in die Erde, sie sind nur mit ihren Handys beschäftigt. Uns geht so viel verloren. Wir lesen zu wenig. Ein Tweet ist zu wenig, damit Menschen konzeptuell zum Denken anfangen und einen Sinn für Poesie und Storytelling entwickeln. Es liest kaum noch jemand große, zusammenhängende Texte. Und es begibt sich niemand zu Fuß auf Reisen.

APA: Wie bewerten Sie dann Donald Trump als gewählten US-Präsidenten, der Twitter als Hauptkommunikationsmittel benutzt?

Herzog: Das Interessante ist ja seine abgrundtiefe Verachtung für die Medien, die ich auch verstehen kann. Das muss man ernst nehmen, weil die Medien zu Propagandainstrumenten für bestimmte Parteien wurden, viel ärger als früher. Es ist zwar ungewöhnlich, was jetzt kommen wird, aber das Problem ist ja nicht Trump. Wenn es ein Problem gibt, dann ist es Amerika: Ich persönlich habe mich immer daran gestört, dass meine demokratischen, liberalen Freunde an der Ost- und Westküste in zynischer Weise von dem Dazwischen als “flyover-states” geredet haben, die wir überfliegen, von den “deplorables”, den Beklagenswerten, wie Hillary Clinton gesagt hat. Auf einmal hat sich das amerikanische “Heartland” – der harte Kern von dem, was Amerika ausmacht – zu Wort gemeldet und Trump gewählt. Das ist ein ganz bedeutender Moment in der amerikanischen Geschichte und die Demokraten müssen jetzt sehr schnell und genau ihre zynische Haltung aufgeben. Die Medien haben nur über Städte berichtet, aber nie über das, was sich im ländlichen Amerika abspielt. Das sind ja auch Menschen und die haben Sorgen, verlieren Jobs, sind marginalisiert.

APA: Vertreten Sie auch nach der Erfahrung der vergangenen Wochen die Ansicht, dass das Präsidentenamt Donald Trump “formen” wird?

Herzog: Nicht nur das Amt, auch die Verfassung. Die ist zutiefst in der amerikanischen Psyche verwurzelt. Wenn er das Amt übernimmt, wird es ihn zwingend darauf hinweisen, dass er nicht persönlich privat einen Krieg erklären oder Steuern senken kann. Es gibt die Teilung der Gewalten, das wird ihn unweigerlich formen. Und die wirkliche Opposition wird wahrscheinlich die republikanische Partei sein, die ja überall Mehrheiten hat. Ich hatte immer das Gefühl, die Republikaner haben sich davor gefürchtet, dass Hillary Clinton Präsidentin wird. Aber die tiefste aller Ängste war, dass Trump Präsident wird. Und jetzt ist er da. Es wird vieles ganz neu und ganz anders sein und wir müssen dem gar nicht mit Panik entgegensehen.

Werner Herzog, 1942 in München geboren, hat über 60 Spiel- und Dokumentarfilme inszeniert und geschrieben, ist in knapp 20 Filmen als Schauspieler aufgetreten, hat mehr als ein Dutzend Bücher veröffentlicht und ebenso viele Opern inszeniert. Im Alter von 20 Jahren gründete er seine eigene Produktionsfirma; für seinen ersten Spielfilm, “Lebenszeichen” (1968), erhielt er den Deutschen Filmpreis und den Silbernen Bären der Berlinale. In den 70er- und 80er-Jahren erlangte er vor allem mit den Filmen “Aguirre, der Zorn Gottes” und “Fitzcarraldo” mit Klaus Kinski Bekanntheit. Geschichten von gegenseitigen Morddrohungen und schwierigen Produktionsbedingungen im Amazonas sind legendär. 1991 und 1992 war Herzog Co-Direktor der Viennale. Seit Mitte der 90er lebt er in Kalifornien und dreht vorrangig Dokus in exponierten Landschaften; für seine Antarktis-Doku “Begegnungen am Ende der Welt” wurde er für einen Oscar nominiert. Allein 2016 veröffentlichte er mit den Dokus “In den Tiefen des Infernos” und “Lo and Behold” sowie dem Öko-Thriller “Salt and Fire” drei neue Filme.

(APA/Red.)

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