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Internationale Pressestimmen zu Friedens-Nobelpreis für die EU

"Tages-Anzeiger": Mahnung für die EU.
"Tages-Anzeiger": Mahnung für die EU. ©EPA
Das Nobelkomitee in Oslo hat den Friedensnobelpreis 2012 an die EU vergeben. Internationale Pressestimmen.
Friedensnobelpreis an EU
Bedeutende Auszeichnung
Die EU als Friedensprojekt
Begründung des Komitees

“Tages-Anzeiger” (Zürich):

“Warum nicht 1952 nach Gründung der Montanunion? In den 80er-Jahren mit Aufnahme der ehemals faschistischen südeuropäischen Länder? 2004 mit Beginn der Osterweiterung? Das Komitee hat die früheren Zeitpunkte verpasst und ehrt die EU nun in einem Moment, in dem der Streit zwischen einzelnen Mitgliedern zu eskalieren droht. Das mag auch mit der innenpolitischen Situation in Norwegen zu tun haben, wo sich das Verhältnis zur EU erst in den letzten Jahren entspannt hat. Die Botschaft aus Oslo wirkt in dieser Situation eher als Mahnung denn als Festrede. Wenn sie denn überhaupt wirkt, kommt sie auch ein paar Jahrzehnte zu spät noch zum richtigen Zeitpunkt. Denn inzwischen bedroht das Hickhack um die gemeinsame Währung den Frieden auf neue Weise.”

“Basler Zeitung” (Basel):

“Die Geschichte zeigt: Ein Krieg zwischen Demokratien ist praktisch unmöglich, zumal wenn diese wirtschaftlich eng miteinander verflochten sind. Um einen solchen Zustand herzustellen, sind Freihandelsabkommen hilfreich, doch eine Währungsunion und eine zentralistische Bürokratie braucht es dafür nicht. Gewiss, ein bewaffneter Konflikt zwischen den früheren Erzfeinden Deutschland und Frankreich ist heute undenkbar. Doch gilt dasselbe genauso für Kanada und die USA. Die Tragik der EU liegt darin, dass ausgerechnet sie die Gespenster wieder zum Leben erweckt, die sie für immer bannen wollte: In Südeuropa hat die Eurokrise zu einem Wiedererwachen des Nationalismus geführt.”

“Neue Zürcher Zeitung” (Zürich):

“Europa fehlt es nicht an historischer Logik, sondern an einer zukunftsfähigen Konzeption. Das vielbeschworene Friedensprojekt verliert an Strahlkraft, weil die Absenz von Krieg für die meisten Menschen eine Selbstverständlichkeit darstellt – gepaart mit weit verbreitetem sozialem Wohlstand, der bei allen Relativierungen unbeschreiblich höher liegt als je zuvor in der Geschichte des Kontinents. Wenn der Preis wenigstens temporär auch diese epochale Errungenschaft in Erinnerung ruft, dann ist es gut. Mehr aber kann man dieser Vergabe nicht abgewinnen, weil sie etwas ehrt, was geschichtlich vielen Nationen, vor allem konföderaler Struktur, eigen ist: Ausgleich und Konsens, Vergemeinschaftung und Solidarität.”

“Liberation” (Paris)

“Jeder hat festgestellt, dass die Jury des Preises entweder ironisch oder konformistisch ist. Den Preis an die Europäische Union zu vergeben, die mitten in der Krise steckt und an der gezweifelt wird, ist jedoch dreist. Die Jury hat eine Schwerkranke gewürdigt, die depressiv ist und deren lebenserhaltenden Organe gelähmt sind. Einige haben bemerkt, dass die Lobrede in Oslo wie eine Grabrede klang.”

“Dernières Nouvelles d’Alsace” (Straßburg):

“Die Vergabe erinnert an die eigentliche Bestimmung des Preises. Durch das ständige Kritisieren der Brüsseler Technokraten hat man vergessen, dass der Frieden das große und unschätzbare Geschenk der Europäischen Union ist. Europa kann in dieser Hinsicht stolz auf sein Werk sein. Das zu schreiben, bedeutet nicht, die Bedeutung der politischen Spannungen und wirtschaftlichen Probleme herunterzuspielen. Doch die Fehler und Schwächen dürfen den Blick auf das Wesentliche nicht verdecken. Europa wurde ins Leben gerufen, um einer halben Milliarde Menschen den Frieden zu bringen. Diese Anerkennung kommt nicht zu spät. Mitten in der Krise ist es wichtig, an die wahren Werte zu erinnern.”

“De Standaard” (Brüssel):

“Die Vergabe des Friedensnobelpreises mag mehr als verdient sein. Sie unterstreicht aber zugleich, wie existenziell die Krise ist, in der sich die Europäische Union befindet. Weil der Patient schwer krank ist, bekommt er aus Norwegen eine Injektion der Sympathie und Ermutigung.(…) Wenn Brüssel die ökonomische und finanzielle Krise jedoch nicht schnell unter Kontrolle bringt, wird die Unterstützung für die EU durch die Bevölkerung weiter wegschmelzen. Daran wird auch das Schulterklopfen mit diesem Friedensnobelpreis bedauerlicherweise nichts ändern.”

“de Volkskrant” (Amsterdam):

“An der Notwendigkeit der Europäischen Union gibt es keine Zweifel. Während Kritiker zu Recht auf ihre Unzulänglichkeiten hinweisen, insbesondere auf ein unzureichendes demokratisches Niveau, können sie keine Alternative vorweisen. Die Union dient dem Frieden, sicher, aber sie verkörpert zugleich auch die einzige Chance, Europas Stimme in der Welt inmitten größer Machtblöcke Gehör zu verschaffen. Eine gespaltene EU könnte das nicht. So muss dieser Nobelpreis muss vor allem angesehen werden als ein Preis zur Ermutigung, die Eurokrise zu überwinden und mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen.”

“Magyar Nemzet” (Budapest):

“Gerade zu diesem Zeitpunkt wirkt die Auszeichnung wie ein Trostpreis für das Dahinwursteln, als eine Ermunterung dazu, dass die Organisation wieder im alten Glanze strahlen möge. (…) Die Europäische Union kann dann wieder stark werden, wenn sie erneut Politiker hervorbringt, die über Visionen verfügen. Die sich über die egoistischen Interessen und die Schatten der Vergangenheit hinwegsetzen und die nicht nur dazu fähig sind, den inneren Zusammenhalt der Union zu festigen, sondern die auch den Mut haben, die Bündnisbeziehungen neu zu gestalten. Die es zum Beispiel wagen, den in vielerlei Hinsicht überholten atlantischen Rahmen zu überwinden und sich der kontinentalen, eurasischen Zusammenarbeit zu öffnen.”

(APA)

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