AA

"Ich hatte eigentlich Höhenangst"

"Wenn du nicht bereit bist zu sterben, dann bist du auch nicht bereit zu leben" - Beat Kammerlander
"Wenn du nicht bereit bist zu sterben, dann bist du auch nicht bereit zu leben" - Beat Kammerlander ©MiK
Schwarzach - WANN & WO traf den weltweiten Kletterpionier Beat Kammerlander (56) in seinem Garten in Feldkirch. Im Sonntags-Talk erzählt er über Gefahren und den Tod.

WANN & WO: Wie kamen Sie zum Klettersport?

Beat Kammerlander: Mit dem Klettern habe ich mit 17 Jahren begonnen. Aber eigentlich hatte ich Höhenangst. Damals ließ ich mich von einem Freund überreden. Trotz zu großer Schuhe, die nicht klettertauglich waren, kam ich den Fels hinauf. Als dann meine Angst beim Klettern verschwand, habe ich realisiert, dass es gar keine richtige Höhenangst sein konnte. Gleich eine Woche später ging ich als absolutes Greenhorn mit auf eine Klettertour im Rätikon. Dort starb ich tausend Tode und schwor mir, sowas nie wieder zu machen. Aber schon zurück auf der Berghütte, hatte ich wieder Blut geleckt.

WANN & WO: Was macht für Sie die Faszination aus?

Beat Kammerlander: Das Schöne am Klettern ist, dass man so konzentriert im Hier und Jetzt ist. Alles andere fällt weg. Das fasziniert mich.

WANN & WO: Was hielten Ihre Eltern von Ihrer Passion?

Beat Kammerlander: Natürlich waren meine Eltern nicht begeistert, vor allem weil es anfangs nicht so ausgeschaut hatte, dass ich davon leben kann. Zu dieser Zeit war ich schon ein bisschen ein Anarchist und wollte mir nichts sagen lassen. Meist wussten sie nicht, wo genau in den Bergen ich steckte. Es kam auch oft vor, dass wir aufgrund des Wetters Touren verlängern mussten und im Biwak (Anm. d. Red.: Lager im Freien) Nächte durchgeschlottert hatten. Wenn das eigene Kind so komische Sachen macht und sein Leben aufs Spiel setzt – so haben sie das gesehen – war das nicht immer einfach für sie. Mittlerweile sehen sie meine Kletterei positiv.

WANN & WO: Sie haben sogar Solobegehungen, also Klettertouren komplett ungesichert und alleine in mehreren 100 Metern Höhe, unternommen. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie sich einer solchen Gefahr aussetzen?

Beat Kammerlander: Das waren eher Ausnahmen, auf die ich mich dann auch wirklich längere Zeit vorbereitet hatte. Man muss sich sicher sein, dass man es kann. Das ist auch das Spiel der Annäherung: Man muss im Voraus wissen, wie man im Tun reagiert und was in einem passiert, psychisch und körperlich. Vom Mentalen her, ist die Konzentration das Wichtigste. Es muss Klick machen und dann ist man komplett weg, es gibt nur noch die Kletterbewegung – quasi ein selbstauflösender Zustand, den man eingeht. Sowas beherrscht man nicht von heute auf morgen und man muss sich kennen.

WANN & WO: Wie haben Sie mental diese Stärke erlangt?

Beat Kammerlander: Es gibt einfach verschiedene Menschentypen. Ich glaube, dass das einem einfach gegeben sein muss. Man muss vom Charakter her mit Gefahren gut umgehen können, sodass man in brenzligen Situationen keine Panik bekommt. So war ich eigentlich immer schon.

WANN & WO: Wie stecken Sie Ihre Grenzen ab?

Beat Kammerlander: In einer Routenvorbereitung geht es um Reflexion. Man darf nichts verdrängen, sondern muss jede mögliche Gefahr bis ins kleinste Detail zerlegen, damit man genau weiß, was auf einen zukommen könnte. Diese emotionale Auseinandersetzung schützt dich dann später. In diesen Vorbereitungen hatte ich meistens viel mehr Angst als in der Aktion selbst.

WANN & WO: Ihr Freund Dean Potter, ein amerikanischer Extremsportler, verunglückte vergangenen Mai bei einem Wingsuit-Flug tödlich. Was ging in Ihnen vor, als Sie diese Nachricht erreicht hat?

Beat Kammerlander: Das war krass. Ein gemeinsamer Freund rief mich an und überbrachte mir die Nachricht. Das war hart. Dean und ich hatten irgendwie eine Seelenverwandtschaft und konnten miteinander über alles reden. Das ist nicht mit jedem Freund möglich. Für mich ist es aber eine Bereicherung zu wissen, einen der kreativsten, wildesten Menschen kennengelernt zu haben, den es je gab.

WANN & WO: Wie gehen Sie mit den Gefahren und dem Tod um?

Beat Kammerlander: Man muss sich schon ein bisschen mit dem Tod auseinandersetzen. Wenn du nicht bereit bist zu sterben, dann bist du auch nicht bereit zu leben. Das hängt ganz eng zusammen und ist beim Klettern auch präsent.

WANN & WO: Gab es Momente in Ihrem Leben, dass Sie dachten – „Jetzt ist es vorbei“?

Beat Kammerlander: Solche gab es ein paar. Ganz banal, wenn die Routine in der Vertikalen Überhand nimmt und man sich zum Beispiel ans falsche Seil hängt und realisiert, dass man gerade fast 800 Meter in die Tiefe gefallen wäre. In diesen Momenten darf man nicht in Panik verfallen, sondern muss rationell verarbeiten. Ich versuche mich immer wieder auf eine rationale Ebene zu holen. Auch in meinem alltäglichen Leben. Es ist wichtig, eine Sache, wenn möglich, aus allen Blickwinkeln zu betrachten.

WANN & WO: Wie sieht es mit dem Risiko-Management im Alltag aus?

Beat Kammerlander: Durch das Klettern habe ich ein ganz anderes Bewusstsein entwickelt. Ich laufe zum Beispiel nicht unter dem Rand von Hausdächern, weil ich weiß, dass ein Dachziegel herunterfallen könnte. Ich gehe viel wachsamer und konzentrierter durchs Leben. Auch meine Reaktionsfähigkeit ist viel schneller geworden – die Gläser klirren weniger. Das passiert aber alles unbewusst und ist mittlerweile wohl automatisiert.

WANN & WO: Wie kommen Sie mit Niederlagen klar?

Beat Kammerlander: Wenn man weiß, dass man sein Bestes gegeben hat, dann muss man damit auch zufrieden sein. Man darf Niederlagen nie nur als solche sehen. Gerade beim Klettern bringt einem der Weg zum Ziel oft viel mehr, als der Erfolg selbst. So kann zum Beispiel durch ein gescheitertes Projekt, wieder ein anderer Erfolg entstehen.

WANN & WO: Was sind die großen Herausforderungen in Ihrem Leben?

Beat Kammerlander: Ein zufriedener Mensch zu sein, das ist eigentlich die größte Herausforderung des Lebens. Ich war meist in der glücklichen Lage, dass ich selbst wählen konnte, welchen Weg ich gehe. Heutzutage ist es besonders für junge Leute nicht mehr so einfach – in der schnelllebigen Zeit, in dieser dauernd mit Druck gearbeitet wird und sich eine Ellbogen-Gesellschaft entwickelt. Das ist beängstigend.

WANN & WO: Wie verbringen Sie Ihre Nicht-Klettertage?

Beat Kammerlander: Derzeit wird man mich mit dem Kinderwagen unterwegs sehen, wenn ich mit Samuel spazieren gehe. Meistens sind diese Tage aber auch mit etwas Sportlichem verbunden, Mountainbiken oder mit meiner Familie schwimmen gehen. Sich einfach eine schöne Zeit machen.

WANN & WO: Was soll die Zukunft für Sie noch bereithalten?

Beat Kammerlander: Wenn es noch ein bisschen so weiter geht wie bisher, wäre ich ganz froh – gesund zu sein, dass es meiner Familie gut geht und ich noch lange klettern kann. Für mich geht es schon lange nicht mehr um ‚Schneller, Höher, Weiter‘, es geht eher um das Schöner: Also Klettern zu gehen, weil klettern schön ist.

(WANN & WO)

Hier die ganze WANN & WO-Ausgabe online lesen.

home button iconCreated with Sketch. zurück zur Startseite
  • VOL.AT
  • Vorarlberg
  • "Ich hatte eigentlich Höhenangst"