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„Halt die Fresse, Lügenpresse!“

Vergangenen Samstag gingen in Bregenz rund 100 Demonstranten gegen Pegida auf die Straße.
Vergangenen Samstag gingen in Bregenz rund 100 Demonstranten gegen Pegida auf die Straße. ©VOL.AT/Pascal Pletsch
Der Bericht über Pegida Vorarlberg am vergangenen Mittwoch sorgte für eine heftige und emotionale Diskussion im Land. Ein Rückblick.

Während viele Nutzer auf VOL.AT durchaus versuchten, sachlich über Pegida, Integration und Toleranz zu diskutieren, ließen andere keinerlei Kritik an der umstrittenen Bewegung zu und äußerten sich in teils rabiatem Tonfall: „Halt die Fresse, Lügenpresse!“ war zu lesen, oder „die wahren Hetzer sind die linken Journalisten“

Wer ist Pegida Vorarlberg?

Der WANN & WO-Artikel brachte einige grundsätzliche Fragen hervor, die durchaus berechtigt sind und diskutiert werden sollten: „Ist es jetzt in Österreich schon so weit, dass Mann und Frau das eigene Land nicht verteidigen dürfen?“, fragt beispielsweise User nero53. MustersMax möchte wissen: „Kann man wirklich jeden, der nicht blind und taub durch den Alltag läuft, sondern böserweise seine Bedenken, seine Ängste, seine Wahrnehmungen laut ausspricht, einfach ungestraft als rechts, Nazi, ausländerfeindlich, oder menschenverachtend bezeichnen?“ Natürlich dürfen die Österreicher ihr Land verteidigen und selbstverständlich ist nicht jeder, der bei Pegida mitmarschiert ein Nazi oder Rechtsradikaler. Die Hintermänner von Pegida Vorarlberg bleiben dennoch im Verborgenen. Ein offizielles Gesicht zu Pegida Vorarlberg sucht man vergebens. Trotz direkter Anfrage durch W&W, blieben die Verantwortlichen anonym. Wissen die besorgten Bürger, wem sie folgen? Und ist es nicht so, dass sich Pegida in Deutschland – dort, wo die die Bewegung ihren Ursprung fand – gerade selbst demontiert? Nicht zuletzt durch rechte Rülpser, wie die Hitlermaskerade von Organisator Lutz Bachmann? Ist Pegida das Volk?

„Heimattreue Menschen“

Pegida Vorarlberg selbst weist die Vorwürfe, eine Neonazi- und Rechtsextremisten- Bewegung zu sein, von sich. Gegenüber WANN & WO heißt es: „Viele Vorwürfe kommen ungerechtfertigt von linkspolitischer Seite, um uns (heimattreue) Menschen schlicht und einfach in ein schlechtes Licht zu stellen… Aber sollten Heimatwerte, Österreich-Liebe und Schutz der Inländer nicht an allererster Stelle stehen?“

„Auch die Muslime hier leben in Angst“

Tolga Unal, 22, Student, Hohenems/Innsbruck: „Wir leben in einer kulturell offenen Gesellschaft, die auch andere Lebensweisen und Religionen akzeptieren sollte, wenn nicht sogar muss. Ich bin in Hohenems geboren und spreche Dialekt. Deshalb wurde ich wahrscheinlich noch nicht offen diskriminiert. In Vorarlberg herrscht aber Angst vor dem Islam. Pegida spricht sich nach außen gegen Islamismus und nicht den Islam an sich aus. Aber ich glaube, dass es in vielen Köpfen anders aussieht. Und die hier lebenden Muslime haben ebenfalls Angst.“

„Mit den Menschen sprechen und zuhören“

Habibe Sevis, 19, Anti-Rassismus- Trainerin, Dornbirn: „In Gesprächen mit Freunden und Bekannten merke ich, dass die Anfeindungen gegenüber Muslimen zunehmen. Wichtig ist es, mit den Menschen zu sprechen und ihnen zuzuhören. Auch Workshops, wie sie von der youngCaritas angeboten werden, können helfen, zum Nachdenken anzuregen. Grundsätzlich ist es auch jedem überlassen, bei Pegida mitzumarschieren. Aber ich glaube, dass viele aufgrund falscher Vorurteile mitlaufen.

„Wollen wir Gewalt auch in Vorarlberg?“

Kevin Wilhelm, 22, Zivildiener, Feldkirch: „Seit Pegida hat sich dem ARD-Magazin ‚Report Mainz‘ zufolge die Gewalt gegen Flüchtlinge und Migranten in Deutschland mehr als verdoppelt. Wollen wir das in Vorarlberg auch? Ich verstehe ja, dass viele Menschen nach den Anschlägen Angst haben, aber soll die Antwort auf Terrorismus weitere Gewalt und Hass sein? Abschließend kann ich nur Christian Ehring zitieren und beipflichten: ‚Pegida-Anhänger verteidigen religiöse Werte, an die sie selbst nicht glauben, gegen Menschen, die es bei ihnen nicht gibt, von denen aber in den Medien berichtet wird, die sie für Lügner halten.‘“

„Beidseitige Aufklärung ist jetzt wichtig!“

Melek Özdemir, 19, Anti-Rassismus-Trainerin, Dornbirn: „Die Toleranz gegenüber Muslimen ist sicherlich gesunken. 99,9 Prozent der Muslime sind friedlich, nun wird der Islam mit Gewalt gleichgesetzt. Manche fürchten sich sogar vor Mädchen, die einen Hidschab (Kopftuch, Verhüllung) tragen, weil sie eine Terroristin sein könnten. Wichtig ist beidseitige Aufklärung: Lassen wir uns nicht von Terroristen einerseits und Rechtsextremen auf der anderen Seite gegeneinander aufhetzen!“

Kommentar: „Jeder hat das Recht, Kritik auszuüben“

Harald Küng, Redakteur W&W: „Nach dem Bericht in W&W vom 28. Jänner verlangte Pegida Vorarlberg eine Entschuldigung für meinen ‚hetzerischen und heimatfeindlichen Artikel‘. Das ist schon interessant: Nach den Anschlägen in Frankreich skandierte die Bewegung ‚Je suis Charlie‘ und pochte auf das Recht auf freie Meinung. Dieses Recht gilt aber offenbar nur, solange Pegida selbst nicht in der Kritik steht. Zudem nannte Pegida Vorarlberg trotz Nachfrage bis dato keinen offiziellen Ansprechpartner, was zusätzlich ein ungutes Licht auf die Bewegung wirft. Ich verstehe, dass die Bürger Angst vor radikalislamistischem Terror haben und es hat auch jeder das Recht, bei Pegida mitzumarschieren. Aber in einer Demokratie hat auch jeder das Recht, Pegida kritisch gegenüberzustehen und zu hinterfragen. Und nein – WANN & WO wird nicht staatlich gelenkt. Das kann ich mit gutem Gewissen versichern.“

Hier die ganze WANN & WO-Ausgabe online lesen

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