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Ganz schön Watt los in Dangast

Das Watt schärft den Blick für die kleinen Dinge
Das Watt schärft den Blick für die kleinen Dinge ©VN-K.T.Raab
Ein wahres Tummelbecken für Künstler und Würmer am Jadebusen der Nordsee.
Impressionen aus dem Watt

Dieses Schmatzen und Gluckern will nicht aufhören. Der graubraune Schlick hält die Füße fest umschlossen und will sie nur widerwillig loslassen. Nur mühsam geht es voran. Knöcheltief, teilweise bis an die Waden reicht die schlammige Masse. Wind und Wellen haben bizarre Muster in die Weiten des Wattenmeeres gemalt. In der Luft liegt ein bizarrer Duft. Ein wenig fischig, ein wenig moderig.

Figuren im Watt

Die Jade, eine zwei Zentner schwere Statue, die von Beuys-Schüler Anatol Hatzfeld in den 1970er-Jahren geschaffen wurde, zeigt mir ihrem nackten Busen auf Jadebusen. Der ein wenig klapperig wirkende Stuhl von Kaiser Butjatha am zwei Kilometer langen Strand von Dangast ist von vielen Fluten gezeichnet, während ein steinerner, mehr als drei Meter hoher Phallus von Eckart Grenzer zu rufen scheint: „Seht her, wie fruchtbar das Watt hier ist!“

Kinder lachen und schreien vor Vergnügen. Einige jagen einem Ball am Strand hinterher, andere bauen vergängliche Burgen aus Sand und wiederum andere suhlen sich genüsslich im Schlamm des Wattenmeeres. Und auch die eine oder andere Schlammschlacht entbrennt. Keine Frage, der Jadebusen bebt. Teils vor Gelächter, teils ob der schweren Schritte im Schlamm, teils ob der langsam wieder einsetzenden Flut. Eine Szenerie, wie sie in Dangast, dem südlichsten deutschen Nordseebad, seit vielen, vielen Jahrzehnten zum gewohnten Bild gehört. Während vor allem der Strand und das angrenzende Künstlerdorf die Touristen in Heerscharen anlocken, wirken der Anblick der riesigen Campingplatzareale und das überdimensionierte Meerwasserquellbad mit seiner heilenden Jod-Sole-Quelle eher gewöhnungsbedürftig.

Die Glocke des Friesendoms

Auch der aus zwei Granitsäulen und eine Glocke bestehende Friesendom, der an die im Jadebusen versunkenen Dörfer und Kirchen erinnert, ist nicht gerade eine Augenweide.
Aber von all dem ist rund um das Kurhaus von 1820 wenig zu spüren. Hier trifft man sich zu einem Plausch bei einer Tasse Tee oder dem Kaffee. Hier schaut man Künstlern bei der Arbeit über die Schulter. Hier kauft man kleine oder große Kunstwerke als ein Stück Erinnerung für die heimischen vier Wände. Ein bisschen überwiegend der Charme des Gestern. Kein Wunder, erlebte doch Dangast seine eigentliche Blütezeit ab dem frühen 19. Jahrhundert, nachdem Graf Gustav Friedrich Wilhelm Bentinck 1795 beschloss, am Jadebusen ein Seebad nach englischen Vorbild bauen zu lassen. Zwischen 1804 und 1865 nahm das Nordseebad mehr und mehr Gestalt an. Begründet wurde der noch immer exzellente Ruf des 600-Seelen-Nestes jedoch erst Anfang des 20. Jahrhunderts, als Expressionisten wie Max Pechstein, Erich Heckel oder Karl Schmidt-Rottluff von der Schönheit des beschaulichen Nordseebades in ihren Bann gezogen wurden.

Mühevolle Fortbewegung

Das Watt schärft den Blick für die kleinen Dinge. Was vielleicht auch am Tempo liegt, mit dem man sich hier mühevoll vorwärts bewegt. In kleinen Pfützen warten Krabben auf die nächste Flut. Überall aufragende Klumpen sehen ein wenig so aus wie eine Hundehinterlassenschaft. In Wirklichkeit sind die kleinen Hügel aber dem Eifer des Wattwurms zu verdanken, der fleißig den Schlamm durchwühlt und ähnlich wie ein Maulwurf den Aushub nach oben befördert. Erstaunliche Leistungen vollbringen auch die Wattschnecken, die auf ihrem eigenen Schleim mit bis zu drei Stundenkilometern über feuchte Stellen bis zur nächste Pfütze rutschen können!

Als Königsdisziplin für Wattwanderer gilt übrigens eine geführte Wanderung zum Leuchtturm Arngast. Sieben Stunden dauert der beschwerliche Marsch hin und zurück. Während langsam die Flut wieder einsetzt, genießen die Helden des Watts nach der Rückkehr den schon legendären Rhabarberkuchen des Kurhauses, der – wie es sich für Dangast gehört – seit mehr als einem Jahrhundert als ein Kunstwerk aus der Rührschüssel gilt. Als ein gezeitenunabhängiges noch dazu.

 

REISE-INFOS

Lage: Dangast liegt in Friesland und ist heute Teil der Stadt Varel. Zu erreichen ist das Seebad über die Bundesautobahn A29, Ausfahrt Varel/Bockhorn.
Essen & Trinken: Kurhaus Dangast, berühmt für seinen Rhabarberkuchen. Geöffnet freitags, samstags, sonn- und feiertags von 9 bis 19 Uhr (Tel. +49 4451 4409, im Internet unter www.kurhausdangast.de).
Übernachten: Altes Posthaus, An der Rennweide 38, 26316 Varel-Dangast (Tel. +49 4451-83353, www.altes-posthaus.de).
Allgemeine Informationen: Im Internet unter www.nationalpark-wattenmeer.de; Kurverwaltung Nordseebad Dangast, Am Alten Deich 4-10, 26316 Varel-Dangast (Tel. +49 4451 91140, www.dangast.de).
Nationalpark: Infos gibt es im Nationalpark-Haus, Zum Jadebusen 179 (Tel. +49 4451 7058, www.nlph.de).

 


(VN-K.T.Raab)

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