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Albert Summer auf den Spuren der NS-Zeit in Fraxern

Autor Albert Summer bei der berührenden Buchvorstellung in Fraxern.
Autor Albert Summer bei der berührenden Buchvorstellung in Fraxern. ©Sandra Kathan
Buchvorstellung „Musterdorf Fraxern. Gemeinschaftsaufbau im Bergland in der Aufbaugemeinde Fraxern.“
Buchvorstellung Albert Summer

Fraxern. (san/kam) Der Autor Albert Summer wohnt in Muntlix und ist gebürtiger Fraxner. Intensive und jahrelange Nachforschungen hat er vielerorts angestellt, um die Geschichte der in der Zeit des Nationalsozialismus zum „Musterdorf Fraxern“ aufgebauten Gemeinde zu ergründen. Hauptsächlich im Archiv der Gemeinde Fraxern wurde er fündig.  Sein Buch ist eine Mikrostudie über die NS-Herrschaft in dieser Vorarlberger Berggemeinde als Beitrag für eine bewusste Erinnerungsarbeit. Er wünscht sich, dass mit diesem Buch sachliche Gesprächsprozesse über die NS-Zeit angeregt werden. Das Buch nimmt schwerpunktmäßig die Berggemeinde Fraxern in den Blick, um die Strukturen und Hintergründe des Nationalsozialismus auf dem Lande darzustellen.

Verleger Rheticus-Gesellschaft

Zur Präsentation des Werkes hatte die verlegende Rheticus-Gesellschaft, gemeinsam mit dem Autor, in den Jakob-Summer-Saal nach Fraxern eingeladen. Sämtliche Redner bei dieser Buchvorstellung, darunter Moderator Christof Thöny vom Landesmuseumsverein, Rheticus-Gesellschaft-Geschäftsführer Gerhard Wanner, Landesrat Christian Bernhard, Verfassungsexperte und Verwaltungsjurist Peter Bußjäger, Bürgermeister Steve Mayr, Lektor Paul Ender, Irina Abramova, Erich Summer, sprachen dem Autor Anerkennung  sowie Glückwünsche aus, zu seinem geschichtlich wertvollen Werk als wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur und Aufarbeitung der Zeit des Zweiten Weltkrieges.

Gerhard Wanner berichtete, dass diese 70. Publikation einer Schriftenreihe in der 40-jährigen Geschichte der Rheticus-Gesellschaft  die bisher umfangreichste sei, es in Österreich keine vergleichbare Arbeit gäbe, bei einer ihrer Buchpräsentationen das Publikum noch nie so groß war und der Autor mit diesem Werk eine hervorragende wissenschaftliche Arbeit geleistet habe.

Autor Albert Summer ist der Gemeinde Fraxern dankbar für deren jahrzehntelangen, respektvollen Umgang mit den geschichtlichen Unterlagen und die Ermöglichung des Zuganges für ihn zur Recherche für dieses Buch. Für ihre Unterstützung zu diesem Buches dankt er ebenso dem ABF, Rupert Tiefenthaler, der Rheticusgesellschaft, seinen Brüdern Erich und Josef, Schwager Robert, Freund Anton, Gattin Elisabeth und seinen Kindern und allen weiteren wohlwollend Beteiligten.

Politische Situation im Land ab 1938

Peter Bußjäger gab dem Publikum zur Einstimmung auf die Buchvorstellung  einen Überblick über die generelle politische Situation um 1938 in Vorarlberg: Eine ständestaatliche, autoritäre Verwaltung und Führung war bereits gegeben. Nach dem Anschluss an Deutschland fand ein Elitenaustausch statt. Die neuen Machthaber waren Nationalsozialisten. Diese interessierten die Gesetze nicht. Politische Sitzungen hatten einen gespenstischen Charakter, da sowohl die Sitzungen, wie auch die politischen Funktionäre reine Formsache darstellten. Nach Kriegsende 1945 fand der Elitenaustausch im umgekehrten Sinn statt. Im März 1946 fand in Vorarlberg eine Volksabstimmung über die Gemeindeaufteilungen statt. Daraufhin entstanden die 96 Gemeinden, in der Form und Umfang, wie wir sie heute kennen. Erst 1950 wurde erstmals wieder demokratisch gewählt.

Buchvorstellung – Musterdorf Fraxern

Autor Albert Summer gewährte spannende Einblicke in die verschiedenen Kapitel seines Werkes. Im Wechsel mit Summer’s Erläuterungen las Paul Ender die jeweils beschriebenen Situationen direkt aus dem Buch vor. Akkordeonspieler Goran Kovačević setzte die entsprechenden Passagen musikalisch um. Absolute Stille im Saal machte sich breit, in der man eine fallende Stecknadel hätte hören können. Dies zeugte von den beklemmenden Gefühlen und der tiefen Betroffenheit der Zuhörer während dieser Buchvorstellung.

Politische Lage in Fraxern 1938

Nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland am 13. März 1938, sollte ein möglichst eindeutiges Ergebnis bei der Volksabstimmung am 10. April 1938 die Vereinigung endgültig besiegeln. Fraxern gehörte zu jenen Gemeinden, die 0,1 bis 2 Prozent „Nein“-Stimmen aufwiesen. In der näheren Umgebung hatten in den Gemeinden Koblach, Mäder, Weiler, Röthis, Viktorsberg sogar 100 % der Wähler für den Anschluss gestimmt.

Politikwechsel

Auch in Fraxern wurde der Gemeindetag aufgelöst. Bürgermeister, Gemeinderäte und Beigeordnete wurden nicht gewählt, sondern von der NSDAP berufen. Josef Summer wurde im Juni zum Amtswalter bestellt. Am 4. Juli hatte der frühere Bürgermeister Emil Summer die Gemeindegeschäfte an den neuen Bürgermeister Josef Summer zu übergeben. Alle gemeindepolitischen Funktionäre hatten einen Eid auf Hitler abzulegen.Der bisherige „Dollfussplatz“ wurde in „Adolf Hitlerplatz“, die Hauptdorfstraße in „Adolf Hitlerstraße“ umbenannt. Mit dem Anschluss an Deutschland verschwand Vorarlberg als Bundesland von der Landkarte.  Offiziell waren in Fraxern mindestens 49 Personen als Mitglieder in der Parteiliste der NSDAP zu finden. Erhebungen über jüdische Mitbürger hatten stattzufinden. Der Fraxner Bürgermeister bemerkte dazu, Zitat aus dem Buch: „dass in unserer Gemeinde seit Menschengedenken keine Juden ansäßig waren.“

Musterdorf Fraxern

Nach dem Großbrand in Fraxern 1934 musste das halbe Dorf neu aufgebaut werden. Dazu waren bereits vielfältige raumplanerische Maßnahmen getroffen worden. Unter anderen war dies ein guter Grund, dem Bemühen von Bürgermeister Josef Summer für den Aufbau zum „Musterdorf “ zu entsprechen. 1941/42 wurde Fraxern zur „Aufbaugemeinde“ erklärt und zur „Mustergemeinde“ weiterentwickelt. (Die weiteren acht Aufbaugemeinden im Land waren Übersaxen, Laterns, Silbertal-Bartholomäberg, Fontanella, Sonntag, Damüls, Sibratsgfäll und Schwarzenberg.)  Hauptziele der „Aufbaumaßnahmen“, für welche das Deutsche Reich in Fraxern rund fünf Millionen Reichsmark investierte, waren eine Produktions- und eine  Produktivitätssteigerung durch Verbesserung der dörflichen und der land- und forstwirtschaftlichen Infrastruktur.

Neben ortsgebundenen Arbeitskräften wurden für diesen Aufbau Südtiroler, einige Fachkräfte, Kriegsgefangene aus Serbien und auch ukrainische und polnische Zwangsarbeiter eingesetzt. Im Oberdorf wurden zur Unterbringung der Kriegsgefangenen und Ostarbeiter Baracken gebaut. Nach Kriegsende 1945 wurden diese Baracken kurze Zeit als Flüchtlingslager genutzt. Bürgermeister Josef Summer war somit gleichzeitig auch Aufbaugenossenschaftsobmann. Auch die Funktion als Propagandaleiter nahm der damalige Bürgermeister offensichtlich sehr ernst und erbat für Fraxern eine Gemeinde-Rundfunkanlage als Aufklärer, um auch in politischer Hinsicht eine Mustergemeinde zu sein.

Hunger als ständiger Begleiter

Autor Summer berichtet zum Beispiel in seinem Buch von einem Gesuch der ukrainischen Zwangsarbeiter an das Arbeitsamt. Es ist ein eindeutiger Hunger-Hilferuf und berichtet davon, dass sie angaben, schlechter behandelt zu werden und weniger zu essen bekamen, als die Kriegsgefangenen. Dieses ukrainische Dokument wurde von Summer’s Russisch-Lehrerin Irina Abramova übersetzt. Auch sie animiert in ihrer Rede das Publikum, über die vergangenen Zeiten zu sprechen und an die Jugend weiter zu vermitteln, mit den Worten: „Wer keine Vergangenheit hat, hat keine Zukunft.“

Bis in das Alltagsleben jeder einzelnen Familie, die großteils Landwirte waren, griffen die NS-Maßnahmen in der „Mustergemeinde“. Das Ernährungsamt wies zum Beispiel, unter Androhung von Geld-, Zuchthaus- und Todesstrafe, die Ablieferung von überschüssiger Milch an. Geahndet wurden auch Milchfälschungen, dazu zählten das Abnehmen von Sahne, Abspülen von Milchschaum etc.

Starke Frauen

Am Programm des NS-Regimes standen auch diverse Ehrenkreuz-Verleihungen. Solche wurden an Frontkämpfer, Kriegsteilnehmer und auch an Mütter kinderreicher Familien verliehen. Nicht gerechnet hatten die Verantwortlichen vermutlich damit, dass  auch in dieser Zeit in Fraxern couragierte Frauen auftraten: So berichtet Autor Summer von Augustina Nachbaur, geb. Peter und Katharina Dobler, geb. Ender, die eine solche Ehrung verweigert hatten.

Ebenfalls eine mutige Frau brachte damals den geplanten, großen Neubau eines Lager- und Dorfwirtschaftshauses zu Fall: Sie beauftragte einen Rechtsanwalt in dieser Sache. Das Projekt wurde daraufhin aufgegeben, um die Stimmung nicht unnötig zu strapazieren.

Freundschaft

Auch besondere Freundschaften entstanden in dieser schwierigen Zeit, wie die zwischen dem nach Fraxern starfversetzten Nazi-Gegner Lehrer Josef Bitsche und dem deutschen Dichter Hans Eschelbach, der auf Bitsches Einladung mit seiner Frau Tony (berühmte Künstlerin) in Fraxern im Exil lebte. Sein Buch „Der Dämon des Unsterblichen“ hat der Dichter in Fraxern geschrieben. Eschelbach‘s Verlag Veritas wurde von den NS-Machthabern quasi ausgehungert. Eschelbachs Frau gelang jedoch die Veröffentlichung des Buches. Das Gedicht „Zum Geleit“ ist eine Widmung an seinen Freund Josef Bitsche.

Opfer

Viele weitere Schicksale, Situationen, Berichte und Dokumente, die die schreckliche NS-Zeit auch in Fraxern mit sich brachte, finden sich im Werk von Albert Summer. Ebenso Berichte nach 1945 über die Auswirkungen des Krieges und die verschiedenen Opfer.

Beispiele:

  • 145 Flüchtlinge wurden im Auffanglager in Fraxern nach dem Krieg kurzzeitig unterbracht. Uwe Huber, einen der damaligen Flüchtlinge konnte Albert Summer an diesem Abend der Buchvorstellung begrüßen.
  • Einen Todesfall gab es bei Steinbrucharbeiten.
  • Tage nach Kriegsende hat ein deutscher Bürger in einem Fraxner Haus Selbstmord begangen – nicht aus Schuld sondern aufgrund seiner Perspektivenlosigkeit.

 

  • Euthanasieopfer Josef Nägele

Von mindestens einem Euthanasieopfer berichtet der Autor: Josef Nägele. Er wurde im Februar 1941, mit 132 weiteren damaligen Patienten der Rankweiler Valduna, zur Übersiedlung nach Schloss Hartheim (Tötungsanstalt Hartheim) abtransportiert, wo er kurze Zeit später vergast wurde. Auf dem Konstanzer Friedhof wurde später auch die Urne von Josef Nägele beigesetzt und ein Denkmal zur Erinnerung an die Euthanasieopfer errichtet. Herbert Nägele hat sich mit den Umständen des Todes von seinem Großonkel Josef auseinander gesetzt und die Gaskammer in Schloß Hartheim 1995 besucht, in der Josef Nägele zu Tode gebracht wurde. Das Gedicht „Vergast“ hat er während seines Besuches, direkt in der damaligen Gaskammer, am Boden sitzend geschrieben. Es wurde am Abend der Buchvorstellung ebenfalls der Öffentlichkeit präsentiert und von Erich Summer interpretiert. Da Josef Nägele als Euthanasieopfer in Fraxern kaum bekannt ist, ihm in der Heimatgemeinde auch kein Gedenken gesetzt wurde, macht Autor Albert Summer auf diese Situation und das Opfer besonders aufmerksam.

Autor erklärt sich und ruft zur Aufarbeitung auf

Ganz besonders wichtig ist Autor Albert Summer die Erklärung – und das erwähnt er mehrmals – dass er mit dieser Publikation ein sachliches Heimatbuch veröffentlichen und keine alten Wunden aufreißen möchte, schon gar nicht wolle er Nestbeschmutzer sein oder anklagen. Dieses Buch solle einem Situationsbericht gleichkommen, wie es sich zur NS-Zeit in Fraxern abspielte. Ein großes Anliegen ist ihm, die Geschichte über Generationen weiter zu vermitteln, eine Chance zu sehen, sich mit dem Kapitel auseinander zu setzen, was man zu lange nicht getan habe.

Er bitte die Gemeinde, sich mit noch lebenden Zeitzeugen in Verbindung zu setzen und damit die Chance zu nutzen, weitere Recherchen über tatsächliche Begebenheiten dieser Zeit in Erfahrung zu bringen. Und vor allem bittet er, der Opfer entsprechend zu gedenken. Sein Buch und dieses Thema biete genügend Inhalt und Stoff für einen Film. Auch ruft er um Mithilfe auf, um zu diesem Thema eine entsprechende Schullektüre zu erstellen.

Eine umfangreiche und informative Ausstellung im Anschluss an die Buchpräsentation brachte weitere Details zum Thema zur Diskussion.

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