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Flüchtlings- und Finanzkrise: Gefährlicher Seiltanz Griechenlands

Kann Regierungschef Tsipras über doppeltem Abgrund das Gleichgewicht halten?
Kann Regierungschef Tsipras über doppeltem Abgrund das Gleichgewicht halten? ©AP
Regierungschef Alexis Tsipras hat nach dem nächtlichen Verhandlungsmarathon in Brüssel eine Verschnaufpause bekommen. Eine Pleite Griechenlands ist abermals abgewendet worden. Auch eine Art Fahrplan für die Reduzierung des griechischen Schuldenberges ist in die Wege geleitet.
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Gleichzeitig läuft die Räumung des Elendslagers von Idomeni bisher “wie am Schnürchen”, wie ein Regierungssprecher sagt. Tausende Schutzsuchende sind in organisierte Auffanglager gegangen. Der Flüchtlingszustrom aus der Türkei ist wegen des EU-Türkei-Flüchtlingspaktes praktisch gestoppt worden.

Lage bleibt labil

Die Lage bleibt dennoch labil. Die kleinste Abweichung von den Zielen und eine Verschärfung der internationalen Lage könnte Griechenland sowohl in Sachen Migration als bei den Finanzen in eine neue, noch schlimmere Krise stürzen.

Finanzminister Euklid Tsakalotos weiß, was die griechische Wirtschaft jetzt bitternötig hat: Investitionen. Nach den Beschlüssen in Brüssel sei es nun möglich, Investoren zu locken und “den Teufelskreis aus schrumpfender Wirtschaft und Sparmaßnahmen zu durchbrechen”, sagte er im griechischen Fernsehen.

Die Realität in Griechenland sieht aber völlig anders aus als in den Finanzlabors der Experten: Wenn man die neuen Sparmaßnahmen – insgesamt 5,4 Milliarden Euro, sprich drei Prozent des griechischen Bruttoinlandproduktes (BIP) – auf das deutsche BIP umrechnet, dann wäre es so, als würde man die Deutschen mit 90 Milliarden Euro Pensionskürzungen und neuen Steuern belasten.

Steht soziale Explosion bevor?

Es ähnelt immer mehr einem Wunder, dass es in Griechenland noch nicht zu einer sozialen Explosion gekommen ist. Denn die Sparmaßnahmen – auch die neuesten – treffen vor allem den kleinen Mann. Brot, Spaghetti, Reis und Kartoffeln, aber auch Internet- und Festnetzanschlüsse werden mit neuen indirekten Steuern belastet. “Die Maßnahmen werden in den kommenden Monaten erst richtig greifen. Dann werden wir sehen, wie die Gesellschaft reagiert”, sagt Finanzberater Nikos Wrousis.

Der Gordische Konten des griechischen Finanzproblems konnte bisher nicht zerschlagen werden: Immer wieder werden neue Steuern verhängt, dann konsumieren die Menschen immer weniger. Folge: Die Unternehmen, allen voran die Geschäfte, haben nichts zu tun und entlassen Angestellte. Der Teufelskreis schließt sich, indem die verarmten Bürger noch weniger konsumieren. Das Manko der griechischen Wirtschaft bleibt, dass sie sich auf den Konsum stützt. Handelsschifffahrt und Tourismus sind die einzigen Bereiche, die viel Geld ins Land bringen. Die Besucher halten Griechenland trotz der schlechten Nachrichten die Treue.

Dennoch ist jeder vierte Grieche arbeitslos. “Jetzt wird es besser”, heißt es hinter vorgehaltener Hand im griechischen Finanzministerium. Athen wird mit den neuen Geldern neben seinen “externen” Schulden in den kommenden Monaten auch viele Regierungsschulden im Inland zahlen können. Damit könnte der Markt wieder belebt werden. “Es sind 3,5 Milliarden Euro, die ratenweise bis Oktober in die griechische Wirtschaft fließen werden”, sagte ein an den Verhandlungen mit den Gläubigern beteiligter Mitarbeiter des Finanzministeriums.

Athen hat nicht nur mit den Finanzen zu kämpfen

Athen hat aber nicht nur mit den Finanzen zu kämpfen. Das angeschlagene Land versucht auch das Problem der Migration zu regulieren. Die Polizei hat die Evakuierung des improvisierten Lagers Idomeni – wo zuletzt noch rund 9000 Migranten ausharrten – in die Wege geleitet. Bisher ohne Gewaltanwendung, wie Mitarbeiter humanitärer Organisationen sagen.

Noch ist aber das Thema Migration nicht endgültig gelöst. Gefahren lauern: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan droht den EU-Türkei-Flüchtlingspakt platzen zu lassen, wenn er nicht bald drei Milliarden Euro Hilfe und eine Visa-Freiheit für türkische Bürger in der EU bekommt.

“Wenn Erdogan den ‘Hahn der Migration’ wieder aufdreht, dann sind wir verloren”, sagt ein Offizier der griechischen Küstenwache, der auf einer der Ostägäis-Inseln stationiert ist. Seiner Ansicht nach reiche nur “ein Augenzwinkern” der türkischen Polizei an die Schlepper. Die Ägäis wäre dann binnen weniger Tage wieder voll mit Flüchtlingen.

(APA)

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