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"Es gibt auch zu viel des Guten"

Kaspanaze Simma lebt und arbeitet auf dem Hof, den er in den 70er-Jahren von seinen Eltern übernommen hat.
Kaspanaze Simma lebt und arbeitet auf dem Hof, den er in den 70er-Jahren von seinen Eltern übernommen hat. ©MiK
Schwarzach - Kaspanaze Simma, Landwirt und ehemaliger Grünen-Politiker, im Sonntags-Talk über Bio, Wirtschaft und Politik.
Kaspanaze Simma im Interview
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WANN & WO: Wir sind hier auf Ihrem Hof in Andelsbuch. Bist du wirklich autonomer Selbstversorger?

Kaspanaze Simma: Naja, wir verkaufen auch ab und zu etwas und kaufen einiges ein. Milch und Fleisch haben wir selbst. Bewegen tun wir uns mit Füßen, Fahrrad und Bus. Uns ist wichtig, dass wir das, bei dem es geht, selbst besorgen.

WANN & WO: Wie wichtig ist „Bio“?

Kaspanaze Simma: Ich möchte mit der Natur, dem Erbe der Vorfahren, also Ideen und Arbeitsweisen, mit meinen Fähigkeiten und den Leuten, die mich umgeben, gut wirtschaften und leben. Da passt Bio ganz gut hinein. Die Lebenskräfte von der Natur oder unseren Vorfahren – z.B. die Obstbäume, die ich vom Groß­vater habe – müssen verhältnismäßig eingesetzt werden.

WANN & WO: Wie geht das?

Kaspanaze Simma: Wenn wir eine gewisse kritische Schwelle überschreiten – mag es bis dahin auch noch so gut und nützlich gewesen sein – gibt es auch zu viel des Guten. Mir sagt man nach, ich könne mit Maschinen nichts anfangen. Es gibt Bereiche, in denen eine Maschine eine interessante Hilfe ist. Man muss sie aber auch finanzieren und bedienen. Dann kann es passieren, dass ein Traktor bald mehr Aufwand als Ertrag bringt. Unternehmer, Arbeitnehmer, Bauern, Politiker, alle sind wir unheimlich getrieben. Es soll immer mehr werden und wachsen. Irgendwann wird der Halm, der es tragen soll, aber zu dünn. Der Erfolg der Volkswirtschaft wird in Geld gemessen. Daneben gibt es aber einen weiteren, sehr wichtigen Teil der Wirtschaft, der in Geld nicht zu beziffern ist. Wir haben oft die Wahl, etwas direkt einzusetzen, oder es in Geld umzumünzen, um dann damit den Nutzen zu kaufen.

WANN & WO: Was ist die Konsequenz daraus?

Kaspanaze Simma: Man verliert sich aus den Augen, investiert die Arbeit im Geldbereich. Mit dem Wachstum der Geldwirtschaft schrumpft die Subsistenzwirtschaft. Was da wegfällt, müssen wir durch mehr Geld ersetzen, um gleich gut zu leben. Das hat auch mit Arbeitsteilung zu tun. Diese kann in Ineffizienz kippen. Wenn ich Joghurt machen möchte, mache ich die Milch warm, lasse sie abkühlen, gebe das Ferment dazu und lasse sie bei 45 Grad neben dem Ofen stehen. Am Mittag ist es Joghurt. Ich kann die Milch aber auch kühlen und jemandem bringen, der das Joghurt macht. Es wird verpackt, in den Laden gebracht und ich gehe es dort kaufen. Hier habe ich plötzlich einen ganz anderen Aufwand: Infrastruktur, Technik, Verkehr, Arbeit, Organisation und so weiter. Mit jedem weiteren Glied in der Wertschöpfungskette wird mehr Arbeits- und Kapitalaufwand nötig. Das soll aber nicht heißen, dass Arbeitsteilung keinen Sinn macht – es ist ja auch Arbeitsteilung, wenn ich die Kuh melke und meine Frau das Joghurt macht. Wenn man etwas selbst macht, hat man ja auch eine Freude, wenn es funktioniert. Das stärkt einen, gibt einem Bedeutung in der eigenen Welt.

WANN & WO: Wie ist das heute im Vergleich zu früher?

Kaspanaze Simma: Wir kennen die Subsistenz nicht mehr, haben die Fähigkeiten verloren und damit auch nicht mehr die Wahlmöglichkeit. Das offizielle Bildungssystem dient nur noch der Geldwirtschaft. Spezialisierung hat überhandgenommen und das Fundament fehlt. So kann man keinen eigenen Weg gehen und es bleibt nichts Anderes übrig, als seine Kraft für Geld zu verkaufen. Wenn wir zu viel Fremd­energie einfließen lassen, verkümmern unsere eigenen Fähigkeiten. Ich kann jeden Weg mit dem Auto zurücklegen oder zu Fuß. Wenn ich fahre, verkümmern meine Muskeln und irgendwann kann ich nicht mehr gehen. Aber wenn ich spaziere, sehe ich mehr, treffe vielleicht jemanden und schwätze noch ein paar Worte – das ist ein Mehrwert für mich! Wir sind ja wahnsinnig bedürftig nach Anerkennung von Außen geworden. Das hat vielleicht damit zu tun, dass die Anerkennung von innen zu wenig genährt wird und damit zu kurz kommt.

WANN & WO: Sind Sie auf Facebook?

Kaspanaze Simma: (lacht) Nein, das kenne ich nur von den Kindern. Aber ja, da kann man sich diese Anerkennung von außen in einem gewissen Maße holen, mit „Gefällt mir“. Das ist aber eine dünne Suppe.

WANN & WO: Wie geht es der Vorarlberger Landwirtschaft?

Kaspanaze Simma: Sie ist eines der großen Opfer des Wirtschaftswachstums. Von den zwölf Prozent, die wir in etwa für Ernährung ausgeben, kommt nur ein Fünftel beim Bauern an. Der Rest geht in die Verarbeitung und Verteilung. Für vier Liter Milch hast du 1955 im Sennhaus etwa einen Stundenlohn bekommen. Heute musst du dafür 40 Liter Milch ins Sennhaus bringen. Dann muss die Landwirtschaft über Förderungen in Funktion gehalten werden.

WANN & WO: Wie ist es so weit gekommen?

Kaspanaze Simma: In den 60er-Jahren hatten wir einen Arbeitskräftemangel. Dann haben wir die Leute aus der eigenen Land- und Hauswirtschaft herausgeholt, um Arbeitskräfte zu haben. Dann aus Innerösterreich, Jugoslawien, Türkei und selbst heute ist es so, dass wir mit unserer eigenen Arbeitskraft unsere Lebensweise nicht bewerkstelligen könnten.

WANN & WO: Könnte ein Grundeinkommen Abhilfe schaffen?

Kaspanaze Simma: Bis vor einer Weile dachte ich, dass dort der Weg liegen könnte, davon bin ich aber wieder abgekommen. Das würde die Leute noch weiter in die geldwirtschaftliche Richtung bewegen. Obwohl jede Menge um uns herum ist, haben viele das Gefühl, sie hätten zu wenig. Zu wenig Zeit, zu wenig Gestaltungsmöglichkeiten. Es geht nicht spurlos an uns vorbei, wenn unsere Landschaft weiter so verbaut wird. Das Verhältnis muss stimmen, sonst geht die Gemeinschaft verloren.

WANN & WO: Haben wir das heute verlernt?

Kaspanaze Simma: Wir haben viel verlernt, weil wir in diesem Kreislauf drin sind. Wir verkaufen unsere Kraft für Geld, um mit Geld das zu kaufen, von dem wir glauben, es sei von Nutzen. Ein Fass ohne Boden, das immer löchriger wird. Es gibt kein Genug!

WANN & WO: Wie haben Sie Ihre Anfänge in der Politik in Erinnerung?

Kaspanaze Simma: Wir waren geprägt vom neuen alternativen Aufbruch, der in der Gesellschaft stattfand. Wir wollten anders Politik machen, jenseits der bis dahin klaren Kategorien. Ich wollte auf das Niedermachen anderer verzichten, sondern einfach sagen, was ich denke.

WANN & WO: Ist die neue Kraft der Grünen von damals mit den Neos heute vergleichbar?

Kaspanaze Simma: Wie bei den Neos war auch ein Mitgrund für den Erfolg, dass es eine neue Alternative war. Der große Unterschied ist aber, dass es bei uns eine Konfrontation mit dem Industrialismus gab. Das war eine weitaus substanziellere Konfrontation. Dieser Ansatz ist leider früh im Parteibildungsprozess abgesoffen. Man hat sich einer strategischen Tagespolitik zugewandt, um Stimmen zu machen.

WANN & WO: Hat man sich auch zu sehr auf das Umweltthema versteift?

Kaspanaze Simma: Mag sein, aber es hat auch einige andere Entwicklungen gegeben. Die Grünen haben in den Parteiniederungen wahnsinnig viel Kraft verbraucht. Sie haben versäumt, das Öko-Thema auch zu einem wirtschaftlichen Thema zu machen. Schon damals war die Globalisierung eine alternative Entwicklung zu den Grünen. Dann kam Haider und hat ein gewisses Unwohlsein bei den Leuten identifiziert und ein entsprechendes Angebot geschaffen, indem er ein Ohr für die Befindlichkeiten der Menschen hatte.

WANN & WO: Warum haben das die Grünen nicht gemacht?

Kaspanaze Simma: Wenn es um Zuwanderung geht, hat die Linke zu moralisierend herumgetan und weggesehen. Sie haben nichts mehr zum Thema gesagt, der Pilz hat das begriffen. Es ist ein schwieriges Thema, aber man muss eine Position dazu haben und darüber reden. Dann ist man fast schon tugendhaft europafreundlich geworden. Die EU ist ein neoliberales Industrialisierungsprojekt – eine Fehlentwicklung, der man nur mit ökosozialen Konzepten gegenübertreten kann. Die müssten die Grünen halt auch formulieren und Vorschläge dazu bringen.

WANN & WO: Was wäre ein möglicher Weg?

Kaspanaze Simma: In meiner Branche habe ich unglaublich viele Schmerzen miterlebt, weil alle Jungen gegangen sind. Niemand wollte die Bauernschaft weiterführen. Ich selbst war auch so ein Fall. Mein Vater ist gestorben, als ich elf Jahre alt war. Die Mutter wollte unbedingt, dass ich Bauer werde. Ich dachte, ich probiere es. Es war wertvoll, dass ich nicht gegangen bin. Nicht schmerzlos, aber prägend für meinen Weg. Heute stellt sich bei mir die Frage, wie es weitergeht. Ich habe fünf Kinder und beim Jüngsten – er ist jetzt 18 – habe ich das Gefühl, dass das klappen könnte. Wenn jemand den Aufwand auf sich nimmt, an einem Ort zu bleiben und ihn mitzugestalten, als lebenswerten Raum zu erhalten, halte ich sehr viel davon.

WANN & WO: Wie war es, als Sie so früh den Vater verloren haben?

Kaspanaze Simma: Meine Mutter hat den Hof weitergeführt, mit viel Unterstützung ihrer Familie und von Nachbarn. Natürlich war es schmerzhaft, es war ein Autounfall, ganz plötzlich. Das hat auch meine Distanz zum Auto gefördert und steckt tief in den Knochen, wenn man als Kind über Nacht den Vater verliert.

WANN & WO: Wie verkraftet man das als Elfjähriger?

Kaspanaze Simma: Die dörfliche Gemeinschaft, wie es sie damals noch gegeben hat, hatte eine enorme Qualität. Es waren sofort Leute um uns herum und man war aufgehoben. So betrachtet, war es auch eine ganz wichtige Erfahrung in meinem Leben. Zu merken, dass man nicht alleine ist. Das war damals ein gewachsenes Netz, das heute von sozialstaatlichen Elementen ersetzt wird. Die menschliche Komponente können diese aber nicht ersetzen.

WORDRAP

Bio: Interessant. Politik: Könnte interessant sein. Gesellschaft: Wichtig. Gemeinschaft: Sehr wichtig. Bregenzerwald: Ein Stück Heimat. Vorarlberg: Müssen nicht immer die Besten sein. Landwirtschaft: Zukunft. Zukunft: Aufgabe.

Zur Person

  • Name: Kaspanaze Simma
  • Geboren: 27. September 1954
  • Beruf: Landwirt, ehemaliger Grünen-Politiker
  • Herkunft/Wohnort: Andelsbuch
  • Familie: Verheiratet mit Lucia, fünf Kinder

(WANN & WO)

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