Viele Experten sind sich einig: Es gibt knurrende Mägen im Schlaraffenland Deutschland. Von Mangel- oder Unterernährung betroffen sind nach einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) vor allem Arme, Alte und Kranke – aber auch Kinder mit Behinderung. Ein Grund sind Einsparungen im Gesundheitswesen und der Pflegenotstand. In Pflegeheimen etwa fehlt laut Ernährungsexperten gelegentlich das Personal, um Alte und Behinderte so lange zu füttern, bis sie satt sind. Und im ganzen Land steigt die Zahl der Menschen, die am Existenzminimum leben. Das merken vor allem Wohlfahrtsverbände und helfende Vereine.
Sie kommen mit großen Säcken, warten geduldig in der Schlange: Dutzende Menschen, Alte und Junge, Akademiker und Ungelernte stehen für Lebensmittel an, die andere nicht mehr kaufen wollen und die sonst weggeworfen würden. Rund 13.000 Menschen versorgt die Münchner Tafel jede Woche, Hilfe bräuchten aber zehn Mal so viele, glaubt Organisator Reiner Raab. Wir werden ständig angerufen, aber wir können nicht alle unterstützen.
Ähnlich geht es der Caritas im Stadtteil Laim. Die Fragen nach Lebensmitteln seien gestiegen, aber aus vielen unterschiedlichen Gründen, etwa durch Verzögerungen bei der Auszahlung des Arbeitslosengeldes im Rahmen von Hartz IV, berichtet Sozialpädagogin Brigitte Sobetzko. Ich würde den Ausdruck Hunger nicht benutzen wollen, der gehört wirklich in die Dritte Welt. Aber Armut, die gibt es.
Auch die Suppenküchen melden verstärkten Andrang. Der Personenkreis ist in der letzten Zeit weiter geworden, sagt Franz Herzog, Sozialarbeiter in der Teestube Komm des evangelischen Hilfswerkes München. Darunter seien neuerdings auch gepflegt gekleidete Menschen, manchem stehe die Scham ins Gesicht geschrieben. Man sieht Leute, die sehr viel sehr schnell in sich hineinschaufeln – um dann schnell wieder zu gehen.
Ein Rollstuhlfahrer wühlt in der Münchner Innenstadt unweit des Marienplatzes in einem Mistkübel. Mit einem Pappbecher und einem Sackerl rollt er beiseite, verzehrt den Inhalt. Ein junges Pärchen macht sich nach Geschäftsschluss an den Containern im Hinterhof eines Lebensmittelmarktes zu schaffen, mit vollen Plastiksäcken und gesenkten Blicken verlassen die beiden den Hof. In der Stadt sind immer mehr Menschen zu beobachten, die in Mülleimern nach Essen suchen, resümiert Herzog.
Einig sind sich Sozialarbeiter und Ernährungswissenschafter, dass in Deutschland niemand verhungern muss. Mangelernährung sei jedoch ein Problem. Wer wenig Geld hat, kauft Billiglebensmittel. Frisches Gemüse und Obst, Fisch und Fleisch kommen nicht auf den Tisch. Die Mängel reichen von Untergewicht über Vitaminmangel bis hin zu Defiziten im Mineralstoffhaushalt. Mögliche Folgen sind Abwehrschwäche, Müdigkeit, gehäufte Infektionen, schlechtere Wundheilung und mangelnde Ausdauer.
Besonders betroffen sind Kranke und Alte. Nach einer DGEM-Studie sind in Deutschland 20 bis 30 Prozent aller Krankenhauspatienten unterernährt, bei den über 70-Jährigen ist es sogar jeder Zweite. Gründe seien neben organischen Krankheiten Appetitmangel, schlechte Zähne, aber auch Depressionen und Einsamkeit. Vielfach kämen die Patienten aus Pflegeheimen. Oft können sie selbst nicht genug essen, und es fehlt an Personal, um die Menschen zu füttern, erläutert DGEM-Präsident Prof. Berthold Koletzko.
Ein erschreckend hohes Maß an Unterernährung sei bei kranken Kindern festgestellt worden. Im Haunerschen Kinderspital in München sei jedes vierte Kind bei der Aufnahme untergewichtig gewesen. Relativ viele der kleinen Patienten seien chronisch krank oder behindert. Es ist oft schwierig, diese Kinder ausreichend mit Nahrung zu versorgen, erklärt Koletzko. Ein Teil leide tatsächlich Hunger. Dies äußere sich etwa in Unruhe, die aber oft nicht richtig gedeutet werde. Vielfach genüge es, nährstoffreiche Spezialnahrung zu geben, notfalls durch eine Sonde.
Ein Skandal sei der Beschluss des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 19. Juli, der die Erstattung einer Sondenernährung bei vielen Patienten künftig ausschließe. Dies würde bei vielen schwer und chronisch Kranken die erforderliche Ernährungstherapie nicht mehr ermöglichen. Rund 100 000 Menschen seien in Deuts
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