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Pressestimmen zum Tod von Milosevic

Internationale Tageszeitungen beschäftigen sich auch am Montag mit dem Tod des früheren jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic.

„La Repubblica“ (Rom):

„Sicher ist bisher nur (…), dass Slobodan Milosevic tot ist. (…) Die Wahrheit über den Tod des „Schlächters vom Balkan“ muss aber erst noch herauskommen. Und wenn sie herauskommt, werden viele nicht von ihr überzeugt sein. Ob Milosevic Selbstmord begangen hat – wie es auch Staatsanwältin Carla Del Ponte für möglich hält – oder ob er alles getan hat, um den eigenen Tod zu beschleunigen – auf jeden Fall hat er zwei Ergebnisse erzielt: Den Prozess wenige Wochen vor der Verurteilung ungültig zu machen und auf den Internationalen Strafgerichtshof den Verdacht auf Mithilfe zur Tötung zu werfen.“

„Neue Zürcher Zeitung“:

„Jetzt kann man sich damit herausreden, Milosevic sei nicht verurteilt worden und deshalb unschuldig. (…) Es fehlt die Einsicht in die Notwendigkeit, sich mit den von Serben im Namen Serbiens begangenen Untaten auseinanderzusetzen. Rechtsstaatliche Prinzipien werden politischem Opportunismus untergeordnet. Nur wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass die Aufarbeitung der Kriegsgreuel die Voraussetzung für einen funktionierenden Rechtsstaat ist, kann Serbien das unheilvolle Erbe Milosevics endlich hinter sich lassen.“

„de Volkskrant“ (Den Haag):

„Er erschien vor allem als ein listiger Politiker. Doch einmal Präsident, entpuppte er sich als megalomaner Herrscher. An Stelle eines Hüters der serbischen Nation wurde er zum Meister der Fehlkalkulation, der vier Kriege verlor und sowohl seinem Land als auch der Region großen Schaden zufügte. Mehr als 200.000 Menschen fanden den Tod, und eine Vielzahl mehr wurde Opfer „ethnischer Säuberungen“. Für das größte europäische Drama nach dem Zweiten Weltkrieg trägt Milosevic die Hauptverantwortung.“

„Adevarul“ (Bukarest):

„Für den Gerichtshof in Den Haag kommt der Tod des ehemaligen (serbischen) Führers in einem denkbar ungünstigen Augenblick. Jetzt wird man nie wissen, ob die Völkermord-Beschuldigungen (…) hätten bewiesen werden können oder nicht. Sein Abgang von der Bühne macht die Notwendigkeit noch dringender, (…) Radovan Karadzic und Ratko Mladic auf die Anklagebank zu bringen. Angesichts der Stimmung in den Reihen der serbischen Nationalisten wird es jetzt für die Belgrader Behörden aber noch schwieriger, bei deren Auslieferung zu kooperieren. Der Schock des unerwarteten Endes von Milosevic wird sich schließlich legen. Aber sein Erbe wird nicht so leicht verschwinden und noch lange Zeit Quelle für Streit zwischen jenen sein, die das Erbe in Ex-Jugoslawien angetreten haben.“

„Gandul“ (Bukarest):

„In der Zelle in Den Haag starb mit Milosevic auch die Glaubwürdigkeit des Internationalen Gerichtshofs (…) auf dem Balkan. Zufällig oder nicht, die meisten, denen in Den Haag der Prozess gemacht wird, sind Serben – bosnische Serben, Serben aus Kroatien, serbische Serben (…). Vor Kurzem hat der Internationale Gerichtshof die Klage des bosnischen Staates gegen Serbien wegen Völkermords zugelassen. Die Verurteilung eines ganzen Volkes kann die Wunden in Mitteleuropa nicht heilen. Und im Prozess, der folgen wird, werden viele Serben einen nicht verurteilten, nicht als schuldig befundenen, in seiner Zelle in Den Haag gestorbenen Milosevic vor Augen haben. Das wird die Rache von Milosevic an dem Westen, aber auch am eigenen Volk sein.“

„La Libre Belgique“ (Brüssel):

„Sein Tod bringt die Opfer um die letzte Genugtuung, den politischen Hauptverantwortlichen ihres Unglücks verurteilt zu sehen. Ein Mann ohne Gewissensbisse stirbt. (…) Mit dem Verschwinden Milosevics verliert das Internationale Kriegsverbrechertribunal seinen wichtigsten Angeklagten und findet sich im Zentrum des Sturms wieder. (…) Seine Arbeit verdient Respekt. Aber die Umstände des Todes von Milosevic und zweier anderer Häftlinge müssen vollständig und auf unabhängige Weise aufgeklärt werden. Denn der Balkan lebt allzu sehr von Geistern und Gerüchten.“

„De Morgen“ (Brüssel):

„Milosevics Verteidigung in Den Haag bestand vor allem aus Verschleppungsmanövern. Auch seine ständigen Herzprobleme sorgten dafür, dass der Prozess sich lange hinzog. Dass er vor seiner endgültigen Verurteilung stirbt, ist schmerzlich für die hunderttausenden Opfer von Milosevic. Aber es verhindert nicht, dass der frühere starke Mann von Serbien als der „Schlächter vom Balkan“ in die Geschichte eingehen wird, der Kriege begann aber keinen einzigen gewonnen hat. Er lässt sein Land als wirtschaftliche Ruine zurück.“

„Trouw“ (Den Haag):

„Die Geschichte eines Jahre langen Konflikts wird niemals nur im Gerichtssaal geschrieben. Das Video, das vor einigen Wochen auftauchte und zeigte, wie Paramilitärs bosnische Männer ermordeten, hat in Serbien vermutlich mehr zu einem realistischen Bild des Krieges beigetragen als der gesamte Milosevic-Prozess. Internationale Rechtsprechung ist entscheidend für die Verfolgung der Schuldigen und damit hoffentlich für die Vorbeugung von neuen Konflikten, Aber sie kann nur zum Teil dazu dienen, Dramen aufzuarbeiten, die bereits geschehen sind.“

„Magyar Hirlap“ (Budapest):

„Es ist fast unmöglich, um Milosevic zu trauern, jedoch war es ein riesiger Fehler, seine Krankheit nicht ernsthaft zu behandeln. Und zwar gerade um des Kriegsverbrechertribunals und Milosevics Opfer Willen: Es ist nicht gelungen, seine Verantwortung genau aufzuklären. Und dies wird Serbien fehlen. Auch dann, wenn das Land sich weigert, die Taten des Milosevic-Regimes und deren Folgen aufzudecken. Milosevic’ Tod kann die Aufarbeitung verlangsamen, doch kann Serbien ihr nicht entkommen. Milosevic wurde nicht rechtskräftig verurteilt, doch kommt sein Begräbnis keinem Freispruch gleich. Wenn ein Gerichtsverfahren nicht abgeschlossen wird, bedeutet dies nicht, dass es keine Gerechtigkeit gibt.“

„Libération“ (Paris):

„Man darf über die einstimmige Ablehnung Milosevics nicht vergessen, dass er es einst fast geschafft hätte, unter dem Codenamen „Großserbien“ den letzten Eroberungskrieg der europäischen Geschichte zum©Erfolg zu führen. Die allzu lange Passivität der Europäer hatte es seinem zerstörerischen Willen erlaubt, sich zu entfalten und Unordnung zu schaffen, so dass ihn am Ende nur amerikanische Waffen stoppen konnten. Bis zu dem Unbehagen über seinen Tod, der einen bereits wenig zufrieden stellenden Prozess auslöscht, hat Milosevic seinen Nachbarn auf dem alten Kontinent einen übel verzerrenden Spiegel vorgehalten. (…) Milosevic ist nicht in seinem eigenen Bett gestorben sondern im Gefängnis. Das ist das geringere Übel. Doch im Kosovo und in Montenegro oder Bosnien sind die Folgen seines Tuns noch lange keine Erinnerung an ferne Zeiten, sondern die Quelle der Probleme von heute.“

„The Times“ (London):

„Die peinlichere Frage ist, warum Milosevic gestorben ist. Vor allem, warum die Gefängnisleitung, die während des Kriegsverbrecherprozesses für das Wohlergehen des früheren serbischen Präsidenten verantwortlich war, so völlig überrascht von seinem Tod zu sein scheint. Vielleicht sank Milosevic plötzlich und ohne den Hauch einer Warnung nieder. Vielleicht aber nicht.
Es ist mehr als zutiefst bedauerlich, dass Milosevic die Justiz betrügen konnte. In der Gefangenschaft des Westens hätte sein Leben mit all der Sorgfalt beschützt werden sollen, mit der er selbst das Leben anderer vernichtete. Die Tatsache, dass ihn der Tod so plötzlich holen konnte, ist eine Bankrotterklärung gegenüber seinen Opfern, den lebenden wie den toten. Was auch immer die Autopsie ergeben mag: Sie wird Platz lassen für vorhersehbare Verschwörungstheorien.“

„Financial Times“ (London):

„Die moralische Schuld wird Milosevic durch den Tod nicht erlassen. Und er befreit Serbien sowie die anderen ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken auch nicht von seinem unheilvollen Erbe. Zuerst müssen nun die beiden wichtigsten Männer verhaftet werden, die Kriegsverbrechen verdächtigt werden, die bosnischen Serbenführer Radovan Karadzic und Ratko Mladic. Dann müssen die regionalen Regierungen ihre Nationen zu Demokratien aufbauen, die Gesetze und Menschenrechte einhalten, auch Minderheitenrechte.
Und sie müssen sich mit Nachdruck um friedliche Lösungen in den offenen Territorialfragen bemühen, vor allem für die Zukunft des Kosovo. Die internationale Gemeinschaft, allen voran die Europäische Union, muss mit Geld und Rat bereit stehen und muss die Tür für eine künftige EU-Mitgliedschaft offen halten. Der Sieg über Milosevic wird erst dann perfekt sein, wenn die ehemaligen jugoslawischen Staaten bereit für eine Mitgliedschaft sind.“

„Politika“ (Belgrad):

„Slobodan Milosevic fährt selbst im Tode fort, die Serben zu spalten. Erstens die einen Bürger Serbiens von den anderen und zweitens Serbien vom Rest der Welt. Mit seinem Abgang vor ein höheres Gericht wird unser Missverständnis mit der Welt nur noch tiefer. Die ’zwei Serbien’ streiten selbst um den Ort, wo seine sterblichen Überreste bestattet werden sollen.“

„Blic“ (Belgrad):

„Er kann in Belgrad beerdigt werden, aber nicht in der ’Straße der großen Persönlichkeiten’. Milosevic kann nicht neben (dem ermordeten Ministerpräsidenten) Zoran Djindjic bestattet werden. Es können nicht die Opfer der Milosevic-Einheiten zur Liquidierung und Milosevic selbst nebeneinander zur Ruhe gelegt werden. Damit würden sie gleichgestellt. Und es besteht ein wirklicher Unterschied zwischen den beiden.“

„Iswestija“ (Moskau):

„Das Wirken eines Führers wird nach den Ergebnissen beurteilt, und da sieht es bei Milosevic traurig aus. Milosevic hat alle Kriege verloren, in die er verwickelt war: in Kroatien, Bosnien und vor allem im Kosovo. Als Slobodan Milosevic 1989 an die Macht kam, war Jugoslawien ein blühendes europäisches Land, dessen Bürger visafrei durch den ganzen Kontinent reisen durften. Seine Herrschaft machte aus Serbien einen internationalen Außenseiter, eine der ärmsten Regionen des Balkans. Serbien hat das Kosovo faktisch schon verloren und wird bald auch Montenegro verlieren und damit seinen Zugang zum Meer.“

„Komsomolskaja Prawda“: (Moskau)

„Eigentlich hätte Carla del Ponte ihm die allerteuerste Behandlung in ihrer geliebten Schweiz bezahlen sollen, nur damit er weiterlebt und die Vereinten Nationen aus Gewohnheit weiter Geld geben. Was jetzt? Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder das Tribunal stellt seine Tätigkeit ein, oder sie sucht sich ein neues Opfer. Wer könnte das sein? 2001 empfing Carla del Ponte eine Delegation von Tschetschenen und erklärte, sie würde sich gern mit Russland befassen, aber das Mandat ließe es ja leider nicht zu. Oder sie wendet sich dem perspektivreichen Fall Lukaschenko zu. Am wenigsten ist zu erwarten, dass sie sich bei Serbien entschuldigt und in Stille zurücktritt.“

„Nepszava“ (Budapest):

„Obwohl (…) Scheveningen vermutlich eine der modernsten Strafvollzugsanstalten der Welt ist, sollte das Tribunal den Vorwurf, dass man sich dort um den Gesundheitszustand der Inhaftierten nicht angemessen kümmert, nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es war eine schwarze Woche für Den Haag, zumal wenige Tage vor Milosevics Tod Milan Babic sich dort das Leben genommen hat. Der stark depressive frühere Präsident der Serben in der Krajina war wichtigster Zeuge im Milosevic-Prozess.
Den Haag muss dazu umfassende Antworten geben, wenn vermieden werden soll, dass das Tribunal vor der serbischen Öffentlichkeit jede Glaubwürdigkeit verliert. Der Tod des früheren jugoslawischen und serbischen Präsidenten kann unvorhersehbare innenpolitische Folgen in Serbien haben, wo die Radikalen noch stärker werden und das Land noch mehr als bisher von Europa isolieren können.

„Dnewnik“ (Sofia):

„Der Tod von Slobodan Milosevic überholte die Rechtsprechung. Viele fragen sich jetzt, ob er das ganze ehrgeizige Vorhaben nicht sinnlos gemacht hat, erstmals nach Nürnberg und Tokio Gerechtigkeit in diesem Ausmaß zu schaffen. Das (UN-)Tribunal in Den Haag hat seinen Hauptangeklagten wegen Gründe verloren, die erst geklärt werden müssen. Es blieben aber nur wenige Monate bis zum Abschluss des Prozesses mit einer lebenslänglichen Haftstrafe für Slobodan Milosevic. Er und die meisten Serben haben aber nicht eingesehen, dass wenn die nationale Rechtsprechung machtlos ist, ethnische Säuberung, Völkermord und Grausamkeiten zu verfolgen, dies nicht bedeutet, dass die Auftraggeber und Ausführer unbestraft bleiben sollen.“

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