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Pressestimmen zu Stoiber-Affäre

Die jüngsten Wahlkampf-Attacken des CSU-Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber gegen die Ostdeutschen stehen am Freitag im Zentrum einer Vielzahl von Pressekommentaren:

„Der Tagesspiegel“ (Berlin):

„Wer zu Verschwörungstheorien neigt, könnte hinter Stoibers Sprüchen einen ganz perfiden Plan vermuten. Wer das Leben besser kennt und die in sich verhakelten Bierzeltsatzgetüme des Edmund S. im Wortlaut liest, wird zu dem Schluss neigen, es handle sich konkret eher um die übliche Großmaulerei. Im Effekt läuft beides aufs Gleiche hinaus. Denn hinter alledem steckt ein System, kühl und logisch. Es ist das System ’Edmund vor!’ – Dessen Ziel ist simpel: Edmund Stoiber will am Abend des 18. September eine optimale Ausgangsposition haben, und zwar für alle Fälle. Deshalb seine strikte Weigerung, sich für Berlin oder München zu entscheiden.“


„die tageszeitung“ (taz) (Berlin):

„Aus seiner Äußerung über die ’Frustrierten’ im Osten spricht der ganze Frust eines Mannes, der sich um die Früchte seiner politischen Karriere betrogen sieht. Erst von den Wählern in Ostdeutschland, die nach Meinung vieler Wahlforscher 2002 die knappe Niederlage Stoibers verursachten. Dann von der Ostdeutschen Merkel, der die Kanzlerkandidatur durch Schröders Neuwahl-Coup kampflos zufiel. Stoiber übersieht geflissentlich, dass sein vermeintliches Problem mit dem Osten eher ein Problem mit dem Norden ist. Die Wahl vor drei Jahren verlor er nicht nur zwischen Gera oder Greifswald, sondern auch in Hamburg oder Hannover…“


„Rheinpfalz“ (Ludwigshafen):

„Wenn die CSU-Analyse denn zutrifft, dass die Union die Wahl 2002 in den neuen Bundesländern verloren hat, so müht sie sich derzeit redlich, das 2005 zu wiederholen. (…) Vor allem im Wahlkampf werden Äußerungen wie denen von Stoiber gern taktische Motive unterstellt. Zum Beispiel: Sie bringen im Westen mehr Stimmen als sie im Osten kosten. Doch derartige Überlegungen sind erstens gewagt und laufen, zweitens, der Unionsstrategie in diesem Wahlkampf zuwider. Denn es ist erklärtes Ziel der CDU, in den neuen Ländern stärkste politische Kraft zu werden.“


„Märkische Oderzeitung“ (Frankfurt/Oder):

„Die Linkspartei kann jubeln. Besser kann Wahlhilfe nicht laufen. Erst verprellt Brandenburgs Innenminister Schönbohm viele Menschen mit DDR-Lebenslauf. Nun sorgt Bayerns Ministerpräsident für den nächsten Rohrkrepierer. Nur 24 Stunden, nachdem CDU/CSU erklärten, in den neuen Ländern stärkste Kraft werden zu wollen, ist dieses Ziel reif für den Papierkorb. Stoibers Versuch, sein Mütchen für die Wahlschlappe von 2002 zu kühlen und gleichzeitig im bayerischen Bierzelt die Vorurteile im Westen zu bedienen, ging nach hinten los.“


„Bremer Nachrichten“:

„Die jüngste Entgleisung des Ex-Kanzlerkandidaten offenbart, dass bei der Union die Nerven blank liegen. Der große Vorsprung in den Umfragen ist dahin, der sicher geglaubte Wahlsieg gefährdet. Da rastet Stoiber aus und sucht einen Sündenbock. Das wäre zumindest eine Erklärung für seine Klage, die ’Frustrierten’ im Osten dürften nicht über das Schicksal Deutschlands entscheiden. Was außerdem für diese These spricht: Schon einmal – 2002 – hat die Union die Wahl in den neuen Ländern verloren. Da werden bei CDU und CSU ungute Erinnerungen wach.“


„Freie Presse“ (Chemnitz):

„Einen besonderen Ost-Wahlkampf wollte die CDU eigentlich nicht führen. Doch nun hat sie ihn. Was derzeit geschieht, wird in den Konzepten ihrer Wahlkampfstrategen nicht vorgekommen sein. Dummheit und Unanständigkeit sind schließlich nicht vorhersehbar. Erst Schönbohm, jetzt Stoiber. Das ist ziemlich viel in nur einer knappen Woche.“


„Kölner Stadt-Anzeiger“:

„Das abschätzige Reden über Ostdeutsche, die anders fühlen, denken und wählen, als es Stoiber lieb ist, zeugt von einem kalkulierten Kontrollverlust – mit zerstörerischer Wirkung. Das Poltern und Polarisieren mag in einem bayerischen Bierzelt noch ganz gut ankommen. Aber Deutschland ist größer.“

„Süddeutsche Zeitung“ (München):

„Ihre Wirkung auf die Ost-Wähler werden seine bramarbasierenden Auftritte nicht verfehlen. Wenn die Ossis nur halb so gut wären wie wir in Bayern, ginge es ihnen auch besser: So hat es Stoiber nicht gesagt. Aber so wird er in den neuen Ländern verstanden, wenn er über intelligente und nicht so intelligente Bevölkerungsteile räsoniert und den ’Frustrierten’ des Ostens nicht erlauben will, über Deutschlands Zukunft zu entscheiden. Schon einmal, 2002, ging eine bereits gewonnen geglaubte Wahl am Ende doch noch verloren. (…) Seine Ossi-Schelte freilich wird die Union teuer zu stehen kommen. Denn in den neuen Ländern sieht es nicht gut aus für die CDU.“

„Stuttgarter Zeitung“:

„So ehrlich seine Sätze waren, so unklug ist seine Botschaft. Mag sein, dass er hofft, ein überragendes Ergebnis im Westen könne schlechtere Zahlen im Osten ausgleichen. Mag auch sein, dass er den Beifall, den er dafür bei den Unionsanhängern im Süden erntet, als ausreichende Zustimmung wertet. Ein erfahrener Politiker, der Stoiber zweifellos ist, müsste jedoch wissen, welche Steine er der Kanzlerkandidatin in den Weg legt. Statt das zu erkennen, offenbart Stoiber vor allem, dass er aus seiner Wahlniederlage vor drei Jahren wenig gelernt hat. (…) Vier Wochen nach der ersten Debatte über einen eigenen Wahlkampf in Ostdeutschland beweist die Union als Gesamtgemälde, dass sie noch immer nicht weiß, wie sie mit den Ostdeutschen und deren Sympathie für die Linkspartei umgehen soll.“

„Frankfurter Rundschau“:

„Mag sein, dass Stoibers neuester Ausfall-Schritt wieder ganz von innen kam. Ein Stückchen Seelen-Striptease auf der Heimatbühne sozusagen, weil diese fernen Ostdeutschen schon wieder mal der Union die Wahl verweigern. (…) Das Stoiber-Konstrukt und der folgende rhetorische Eiertanz bei stundenlanger Sprachhemmung der Kandidatin Merkel zeigen zweierlei. Erstens: So schnell kann auf eine eben erst ausgerufene Offensive ein Rückzugsgefecht folgen. Zweitens: Die Union ist meilenweit davon entfernt, künftig eine integrative Kraft für dieses verunsicherte Land zu sein. Falls so eine Opposition die Wahl dennoch gewinnt, dann einzig und allein wegen der Schwäche der Regierung.“

„Handelsblatt“ (Düsseldof):

„Aus Sicht der Wahlforschung könnte es sich für die Union durchaus lohnen, möglichst heftig auf den Osten einzuprügeln. Äußerungen wie die von Stoiber ’zielen ganz klar auf den Unmut der Wessis über die Ossis’, sagte Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa. 2002 hatte Stoiber als Kanzlerkandidat im Osten viele Wähler an Schröder verloren, was ihn den Sieg gekostet haben dürfte. Dafür hatte Stoiber aber in Bayern rund eine Million zusätzliche Unionsstimmen mobilisieren können. Dies zu wiederholen sei für Merkel viel wichtiger als jede Rücksicht auf den Osten. Da biete sich ein bisschen ’Ost-Bashing’ als Wahlstrategie geradezu an.“

„Berner Zeitung“:

„Durch diese und andere Dummheiten hat sich die CDU/CSU schon von der klaren Favoritenrolle für die Wahl vom 18. September auf den Status eines aussichtsreichen Bewerbers heruntergearbeitet. So weit kann es daher mit der politischen Intelligenz der Bayern auch wieder nicht her sein.“

„Die Südostschweiz“ (Chur):

„Die Union hat den Wahlkampf-Auftakt verstolpert und wichtige Prozentpunkte verloren. Doch Stoibers Attacken kosten mehr, sie gefährden die Einheit des Landes. Mit dem Nebeneffekt, dass die Linkspartei noch mehr Zulauf bekommen dürfte. (…) Konkret beschädigt wird allein die Kanzlerkandidatin Angela Merkel. Aber: Warum sollte es ihr besser ergehen als ihm? Und so hat Stoiber bärenstark zugeschlagen. Und damit die ostdeutsche Fliege auf der Nase von Angela Merkel zerquetscht. Ihr Nasenbluten sollte ihn nicht wundern.“

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