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Ein Ort mit epischer Breite

"Ein Reich für Kinder" - der neue Kindergarten in Lochau wurde in mitten hochgewachsener Wohnungsbebauung errichtet.
"Ein Reich für Kinder" - der neue Kindergarten in Lochau wurde in mitten hochgewachsener Wohnungsbebauung errichtet. ©Cyril Müller
Lochau - Ein „Reich der Kinder“ inmitten hochgewachsener Wohnbebauung schufen Marte Marte Architekten mit einem breit gelagerten Atriumhaus.
Ein Reich für Kinder in Lochau

Im Norden von Bregenz, jedoch auf Lochauer Gemeindegebiet, hatte sich auf einem gründerzeitlichen Fabriksareal samt historistischer Villa seit den frühen 1960er Jahren ein dichtes Wohngebiet mit Eigentumswohnungen entwickelt. Den Auftakt setzten zwei modernistische Baukörper, die als zwölfgeschoßiges Wohnhochhaus und als langes sechsgeschoßiges Band ein kräftiges, aber dennoch ausbalanciertes Landmark direkt am Bodenseeufer platzierten. Ergänzt wurden sie um weitere großvolumige Wohnmaschinen und vor allem um zwei terrassierte Reihenhausanlagen aus den 1970er-Jahren, die zu freistehenden Villengebäuden hin auslaufen. Einst exklusive Badehäuser – auch am See – und einige versprengte Einfamilienhäuser ergänzen die modernistische Bebauung. Hinter diesem breiten Spektrum an urban bis ländlichen Wohnvisionen schließt sich der malerisch bewaldete Bergrücken des Pfänderstocks als landschaftliche Kulisse an.Wir finden hier die Antithese zur isoliert exklusiven Villenverbauung des benachbarten Pfänderhangs. Man wohnt exklusiv im Geschoß, im sechsten oder achten Stock mit Seesicht. Kein Garten, dafür der See und die Nähe zur Stadt. Bis vor wenigen Jahren war die Uferfront noch belebt mit dem legendären Café Melanie und einem Lebensmittelgeschäft. Beides ist leider nicht mehr in Betrieb und ein kleiner Eissalon in einem ehemaligen Tankstellenhäuschen hält zumindest im Sommer eine „Grundversorgung“ aufrecht für die zahlreichen Badegäste und Sonnenuntergangsfotografen am schmalen, aber wohl urbansten Uferstreifen des Bodensees.

Die kürzliche Bebauung der Seeschanze mit 93 Eigentumswohnungen hat den Bedarf an Infrastruktur und nach einer räumlichen Mitte abseits des Ufers weiter erhöht. Die Gemeinde hat deshalb einen geladenen Wettbewerb für einen Kindergarten und Gemeinschaftsflächen ausgeschrieben, den unter Beteiligung prominenter Architekturbüros Marte Marte Architekten für sich entscheiden konnten.

Aus der Vorgeschichte wird die Qualität des Entwurfs verständlich. Ungewöhnlich mächtig und breit präsentiert sich die geschlossene Holzfassade auf dem geneigten Gelände zwischen den hohen Nachbarbauten. Dahinter verbirgt sich auf einem Sockel, der sich aus der Erde schiebt, eine Ebene mit drei Betreuungsgruppen, die in einer L-Form um einen grünen Hof angeordnet sind. An den beiden anderen Seiten schließt eine Arkade mit breitem Flugdach das raumgreifende Geviert. Dieser geschützte Hof ist die eigentliche Leistung. Die Bildung eines definierten Außenraums erreicht jene Mitte, die vor der Dominanz des Sees und der Wohnhochbauten bestehen kann. Der Zugang erfolgt ganz unspektakulär über das Sockelgeschoß, das sich unter der geschlossenen Westfassade auf einen öffentlichen Vorplatz und Spielplatz öffnet. Dort sind der Eingang, ein Raum für die Mittagsbetreuung und ein Bewegungsraum untergebracht, der auch extern genutzt werden kann. Dahinter liegt die Haustechnik.

Die Gruppenräume oben sind aneinandergereiht: Der Gang – einmal entlang der Glasfassade, einmal geschlossen mit den kleinen Guckfenstern auf Kinderhöhe – und eine Abfolge von Nassräumen, Gruppenraum und Ausweichraum. An der Außenecke mit Stiegenaufgang und Lift treffen sich die Wege. Die Fassade bildet sich aus einem Raster von quadratischen Fixverglasungen und geschlossenen Wandfeldern, die entweder Türöffnungen oder türgroße Kippelemente für die Lüftung beinhalten. Die Wandfelder setzen sich mit doppelter Rasterbreite im Umgang fort. Dort werden diese Wandfelder erweitert und als kleine Abstellräume für Außenspielgeräte genutzt.

Der strenge Fassadenraster und die sorgsame, konsequente Detaillierung verleihen dem Bauwerk eine Klassizität, die gepaart mit den opulenten Außenabmessungen eine Ruhe und Stabilität für dieses Bauwerk bewirkt, die bei einem Kinderhaus überrascht.

Diese geschützte Atmosphäre und die räumliche Funktion für den Ort hatte bereits die Wettbewerbsjury erkannt und hat auch die Gemeinde veranlasst, manche Zielsetzungen zu überdenken. So wurden die hohen energetischen Ziele auf ein noch gutes Maß reduziert (Energiekennzahl 28 statt 15 kWh/ m2² pro Jahr), die mit dem wenig kompakten Entwurf sinnvoll und wirtschaftlich umzusetzen war. So konnten auch verschiedene formale Lösungen leichter realisiert werden. Hier hat das Augenmaß zu einer guten Balance der Argumente geführt.

Beispielhaft an diesem Entstehungsprozess sind das Zusammenspiel und die Abstimmung einer ästhetisch anspruchsvollen Architektursprache mit wirtschaftlichen und technischen Vorgaben, die in der mächtigen Form eine wohnliche Ruhe findet.

Daten & Fakten

Objekt: Kindergarten Klausmühle, Lochau
Eigentümer: Gemeinde Lochau
Architekt: marte.marte Architekten, Weiler, www.marte-marte.com
Statik: Merz Kley Partner, Dornbirn
Heizung, Lüftung, Sanitär-Planung: Herbert Roth, Lauterach
Elektroplanung: Hiebeler + Mathis, Hörbranz
Bauphysik: Bernhard Weithas, Hard
Brandschutz: Werner Köhldorfer, Lochau
Siedlungs-Wasserbau: Rudhardt + Gasser, Bregenz
Planung: 2011–2013
Ausführung: 8/2012–9/2013
Grundstücksgröße: 4447 m²
Nutzfläche: 758 m²
Bauweise: Ohne Keller, ohne Garage; Erdgeschoß Massivbau (Stahlbeton) bis zur Oberkante der Decke über dem
Erdgeschoß, Obergeschoß Holzbau; Fußböden: massive Lärche; Fußbodenheizung mit Wärmepumpe; Innenwände
der Nebenräume aus Gipskarton; Außenwände aus massiver Lärche; Holzfenster
Ausführung: Baumeister: A. Gobber Bau, Bregenz; Zimmerer: Kaufmann, Reuthe; Fenster, Türen: Zech, Götzis; Böden: Vetter, Bregenz; Treppen: Kaspar Türtscher, Zwischenwasser; Sanitäres, Heizung: Wolfgang Boch, Hörbranz; Fliesenleger: Rudolf Gort, Frastanz; Komfortlüftung, Lüftung: Intemann, Lauterach; Elektro: Rist + Co, Wolfurt; Schlosser: Böhler Technik, Feldkirch; Schwarzdecker und Spengler: Heinzle, Götzis; Wände und Decken aus Holz: Rene Bechtold, Weiler; Trockenbau: Bohn, Dornbirn; Maler: Hakki Celik, Frastanz; Sonnenschutz: A-Z, Dornbirn; Sportplatz: Sportbau Walser, Altach; Tischler: Lenz Nenning, Dornbirn; Möblierung: Reiter, Rankweil; Kindermöbel: Schmiederer und Schendl, Mehrnbach; Beschriftungen: Huber Schriften, Muntlix
Heizwärmebedarf: 28 kWh/m² im Jahr
Errichtungskosten: Euro 2,5 Millionen (inklusive Park)

Leben & Wohnen – Immobilienbeilage der VN

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut

Mit freundlicher Unterstützung durch Arch+Ing

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