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Edelweißkampf

Gerne würde ich in meinen Morgenträumen die anschleichenden Gedanken einzeln verfolgen. Nicht möglich, sie wechseln zu rasch, tauchen unter, legen sich übereinander, rennen durchs Hirn und verrauchen. Kann ich einen fassen?

Yes I can. Da ist einer, der sagt: “Es gibt keine kulturelle Identität.” Er heißt François Jullien, 1951 in Embrun in der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur geboren, im „kleinen Nizza der Alpen“. Ein Philosoph ist der und Sinologe noch dazu. Chinakundler. Grund genug, in seinem gleichnamigen schmalen Büchlein (sv 2718) nachzusehen, was ihn zu diesem Satz treibt.

Grad nämlich plagen wir uns am Tage mit fremdheimischen, verschwindenden und einwandernden Kulturen, kleben an alten Fotografien, jassen und essen verbissen Kopfsalat aus der Ländlä-Gemüsekiste.

Genau da schickt der François J. seinen Gedanken vorbei und rupft am zerknitterten Strohhalm unserer kulturellen Identität. Vermutet haben wir ‘s ja schon länger.
Ich sollte heute Abend aus Protest Grumpara, Käs und Butter essen. Wenn das nicht kulturelle Identität ist. Hätte ich Most, leerte ich einen Krug, wankte mit dem Gemeindeblatt ins Bett und richtete mit den Kolibris „die Händeee zum Himmeeel …“

Das Wesen der Kultur sei die Veränderung, sagt François J.: Heimat im Wandel. Sag ich ja auch. Die Sprachen seien dabei wichtige Ressourcen. Schon sehe ich Frau Pen “im Namen des Volkes” hinter ihm her hetzen, höre die AfD nach einer deutschen Leitkultur röhren und erblicke Edelweiß & Kornblume im Anzugloch der blauen Autrichiens. Für „Mut, Tapferkeit und Liebe“ – stehe das Edelweiß, sagt HC und flugs stecken sich‘s alle Freiheitlichen an. Weiß das Edelweiß das?

François hingegen meint, man müsse gegen die globale und kommerzielle Uniformierung der Kulturen ankämpfen. Es sei der globale Markt, der die Welt macht, wie er sie braucht.

Das heiße, sagt er weiter, nicht EINE Kultur GEGEN eine andere bewahren, wir sollen um alle bekümmert sein, uns alle Kulturen der Welt als Ressourcen erhalten. In der Sprachenviefalt liege z.B. die Vielfalt des Denkens begründet. Er entdeckt beim Übersetzen ein fruchtbares Hin- und Her zwischen den Sprachen, das es erst einmal zu entdecken und richtig zu verstehen gilt. Es gehe um (das „Nichts“) dazwischen. Mir fallen die geheimnisvollen Laute der Mundarten ein, “Gold im Mund” derer, die sie sprechen können. Gegen sie führen die hochdeutschen SprachpolizistInnen Krieg, die die Laute der Mundarten am liebsten wegmachen, gleichmachen und uniformieren wollen. Rasenmäher sind immer unterwegs. Und weil auf das eine (freie) stets das andere (unfreie) folgt, rufen heute knorrige Identitäre zum Kulturkampf. Panta rhei.

gastk
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