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Dreikäsehoch

©Benno Hagleitner
Wie viel Grenzen, wieviel Freiheit braucht es? Um das richtige Verhältnis von Schutz und Offenheit sorgen sich Architektur wie Pädagogik. Der dreigeschoßige Kindergarten Hatlerstraße bietet das überlegte Wechselspiel beider Qualitäten.
Kindergarten Hatlerstraße

Pädagogische Konzepte sind derzeit auf dem Prüfstand. Nach neuen, passenderen Formen wird gesucht. Architektur spielt dabei eine große Rolle, gerade auch beim Bauen für die ganz Kleinen, bei Horten und Kindergärten: Wie sieht eigentlich der geeignete Raum für die zeitgemäße „Früherziehung“ des Nachwuchses aus? Immerhin ist es die erste intensive Begegnung der Kinder mit öffentlicher Baukultur, nach dem gewohnten Daheim eine besonders prägende Raumerfahrung. In Vorarlberg sind jüngst einige wegweisende Bauten zu dem Thema entstanden. Der Kindergarten Hatlerstraße der Dornbirner Architekten Nägele und Waibel ist ein weiterer wertvoller Beitrag dieser erfreulichen Serie.

Städtebaulich besetzt der Solitär einen prominenten Platz. Auf quadratischem Grundriss steht das Haus mitten in einer parkähnlichen Grünfläche, die unmittelbar an das Stadtteilzentrum mit Kirche und Geschäften anschließt. Die Architekten sahen den Kindergarten nicht als eine in sich geschlossene Institution, sondern verstanden ihn als wichtiges Element im sozialen und kulturellen Netzwerk vor Ort, als einen Knotenpunkt für den Stadtteil Hatlerdorf. Die bestehenden Wege – die kleine Fußgängerallee an der Hatlerstraße und die Fuß- und Radverbindung Richtung Schule quer durch den Quartiersgarten mit Spielplatz – wurden geschickt in die neue Nutzung verwoben. Eine bekannte und beliebte räumliche Konfiguration, die Bank vor dem Haus, kommt in erweiterter Version zum Einsatz, um die öffentliche Achse im Bereich des Haupteingangs in einen Platz zu verwandeln: eine 20 Meter lange Sitznische als einladendes Angebot zum Gespräch, zum Warten, für „an kurza Hock“ – im Vorbereich des Kindergartens und zugleich doch im Park. Wenn die Kinder den Platz für ihre Aktivitäten selbst brauchen, kann die Zone mit einem Sperrnetz kurzerhand „privatisiert“ werden.

Auch innen ist die räumliche Organisation bestimmt vom überlegten Umgang mit unterschiedlichen Intimitätsstufen und der Möglichkeit, den Grad an Privatheit je nach Bedarf zu verändern. Eine große, lichte Aula bildet den öffentlichen Kern des Hauses. Der zentrale Ankunfts- und Gemeinschaftsbereich ist über eine Veranda direkt mit dem Spielgarten im Süden verbunden, nordseitig liegt hinter einer Glaswand der Bewegungsraum. Ebenso unmittelbar und gläsern sind die Verwaltungs und Besprechungsräume des Personals angegliedert. Vorhänge ermöglichen mehr Abgrenzung, wenn gewünscht. Ansonsten bestimmt Transparenz den Raum. Die Gemeinschaft, gegenseitige Wahrnehmbarkeit und die Verbindung mit der Außenwelt stehen bei dieser aufgeschlossenen Interpretation der Bauaufgabe Kindergarten im Mittelpunkt.

In den oberen beiden Geschoßen befinden sich die insgesamt vier Gruppenbereiche. Fast wie ein Dorfplatz liegt eine gemeinsame Bewegungsfläche und Garderobe als lang gestrecktes Rechteck je in der Mitte der Etage. Darum herum sind mühlradartig die beiden Haupträume, zwei Ausweichräume und zwei Loggien gegenüberliegend angeordnet. So ergibt sich ein gekonnt verzahntes Gefüge, das eine klare Grundstruktur bietet und zugleich maximale Durchlässigkeit und Flexibilität in der Nutzung der Räume ermöglicht.

Vorbildlich ist der neue Kindergarten zudem wegen seiner naturschonenden Bauweise. Nach den strengen Kriterien des „Kommunalen Gebäudeausweises“ (KGA) hat das Haus so viele Punkte erreicht wie keines zuvor in Vorarlberg. Mit dem KGA wird seit 2011 im Land die energietechnische und bauökologische Qualität kommunaler Bauprojekte dokumentiert. Die Bestnote für das Gebäude zeugt vom besonders großen Engagement, die Architektur konsequent nach Anforderungen der Ökologie, Gesundheit und Nachhaltigkeit zu entwickeln, von der Haustechnik über die Materialwahl bis zur Gebäudeform. Der Aufwand macht sich nicht nur für das Wohlergehen von Mensch und Umwelt bezahlt: Hohe Punktezahl bedeutet hohe Fördermittel für die errichtende Gemeinde.

Daten & Fakten

Objekt: Kindergarten Hatlerstraße, Dornbirn
Eigentümer/Bauherr: Stadt Dornbirn
Architektur: Nägele Waibel, Projektleiter: Gerd Schubitz www.naegele-waibel.at
Projektleitung: Michael Geiger, Amt der Stadt Dornbirn Ingenieure/Fachplaner: (Ökologische) Bauaufsicht: Flatschacher Bau Projekt Leitung, Hohenems; Statik: SSD Beratende Ingenieure, Röthis; gbd, Dornbirn; Heizung, Sanitär, Lüftung: Ingenieurbüro Töchterle, Bürs; Elektro: elplan, Schoppernau; Bauphysik: Günter Meusburger, Schwarzenberg; Bauökologie: Umweltverband, Dornbirn; Spektrum, Dornbirn; Siegfried Lerchbaumer, Bludenz
Planung: 3/2012–3/2013
Ausführung: 6/2013–7/2014
Grundstücksfläche: 1822 m²
Nutzfläche: 1160 m²
Bauweise: Mischbauweise: Stahlbeton (Decken und tragende Wandscheiben); vorgefertigte, zellulosegedämmte
Holzelemente für Außenwände; Fassade: Lattenverschalung Weißtanne sägerau; Fußböden: Eichendielen; Decken,
Innenwände, Täfer und Fenster: Weißtanne
Heizung: Nahwärme Biowärme Hatlerdorf, Bodenheizung
Besonderheiten: Nach den Kriterien des kommunalen Gebäudeausweises errichtet. Mit 930 Punkten wurde die höchste Förderstufe erreicht.
Ausführung: Baumeisterarbeiten: Hilti & Jehle, Feldkirch; Zimmerer: Kaufmann Zimmerei, Reuthe; Spengler: Jäger, Lauterach; Heizung-Sanitär: Dieter Schneider, Schwarzach; Lüftung: Berchtold Installationen, Dornbirn; Elektro: Schelling, Dornbirn; Verglasung: Glas Marte, Bregenz; Fenster: Zech, Götzis; Holzböden: Fechtig Parkett, Andelsbuch; Tischler: Bickel, Dornbirn und Leo Spettel, Alberschwende
Heizwärmebedarf: 13 kWh/m² im Jahr
Errichtungskosten: 2,8 Mio. Euro(rund 0,6 Mio. gefördert)

Leben & Wohnen – Immobilienbeilage der VN

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
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