„Es gibt keine klassische Jihadisten-Biographie“

Dornbirn. „An alle Brüder“ – mit dem Video des umstrittenen Liedes des Grazer Rapper-Duos Yasser & Ozmann, das gewaltverherrlichende, antiamerikanische und antisemitische Zeilen enthält, begann Thomas Schmidinger seinen Vortrag am Bundesgymnasium Dornbirn. „Jihadismus – IS – Naher Osten“ lautete der Titel unter dem der renommierte Politikwissenschaftler, Autor und Nahost-Experte über die aktuelle Situation im Nahen Osten, die Entwicklung zum Jihadismus sowie Präventions- und Deradikalisierungsstrategien referierte.Der politische Islam

Gleich vorweg stellte der aus Vorarlberg stammende Referent klar, dass zwischen Islam als Religion und politischem Islam unterschieden werden müsse. Entwickelt hat sich letzterer seit dem 19.  Jahrhundert als Antwort auf die Säkularisierung bestimmter islamischer Gesellschaften. Gemeinsam mit dem Salafismus hat sich der Jihadismus herausentwickelt. „Zwei Punkte unterscheiden den Jihadismus von allen anderen Formen des Islam: Der Takfir, mit dem auch ein Muslim als Ungläubiger erklärt werden kann und der Jihad, der in den Medien als Heiliger Krieg propagiert wird, ursprünglich aber die Anstrengung/den Kampf auf dem Wege Gottes bezeichnet“, so Schmidinger.

Konfessionelle Konflikte

In seinem Vortrag gab Thomas Schmidinger auch einen kurzen Abriss über die Entstehung und Entwicklung der beiden rivalisierenden Jihadismus-Netzwerke al-Qaida und Islamischer Staat (IS). Er erklärte, wie im Irak gezielt ein konfessioneller Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten provoziert wurde um die al-Qaida zu stärken. „Auch bei den Anschlägen in Frankreich wollte man vermutlich bewusst eine gewaltsame Gegenreaktion gegen den Islam im Gesamten provozieren und so dem Jihadismus in Europa den Weg bereiten.“ Österreich ist übrigens nach Belgien Spitzenreiter beim „Jihadisten-Export“. „Es gibt bei uns knapp 300 Personen, die sich einer jihadistischen Gruppe in Syrien angeschlossen haben“, weiß der Politologe.

Individuelle Biographien

Die Gründe dafür seien so individuell wie die Menschen selber. „Es gibt keine klassische Biographie eines Jihadisten aus Österreich. Was aber alle gemeinsam haben ist, dass sie schwere Entfremdungserfahrungen in unserer Gesellschaft gemacht haben“, so Schmidinger. Diskriminierungserfahrungen durch die Mehrheitsgesellschaft und das Gefühl ohnehin nie zu dieser gehören zu können treiben  Jugendliche  in  die Pop-jihadistische  Jugendkultur. Globalisierung und Social Media spielen eine Rolle, genauso wie der Mangel anderer radikaler Alternativen zu unserer Gesellschaft. „Die Ursache liegt nicht in der religiösen Erziehung“, ist sich Schmidinger sicher.

Jugendliche ernst nehmen

Wie aber kann dieser Radikalisierung junger Menschen entgegen gewirkt werden? „Man unterscheidet zwischen der allgemeinen Prävention bei der wir als Gesamt-Gesellschaft genauso wie die Politik gefordert sind und der spezifischen Prävention im Einzelfall“, so Schmidinger. Auch der Schule komme eine wichtige Rolle zu „ohne den Lehrpersonen noch eine zusätzliche Aufgabe umzuhängen“. Schüler sollten nicht frühzeitig oder aufgrund von Äußerlichkeiten stigmatisiert werden, Konflikte offen angesprochen, Schüler ernst genommen und gegebenenfalls auch professionelle Unterstützung in Anspruch genommen werden. „Habt’s nicht so Angst vor den Jugendlichen“, ermutigte Schmidinger die Zuhörer im Festsaal des BG Dornbirn die Problematik aktiv anzugehen.

Tipp: Wer mehr über das Thema Jihadismus wissen möchte, kann Einiges dazu im neuen Buch von Thomas Schidinger nachlesen.

Thomas Schmidinger
Jihadismus
Ideologie, Prävention und Deradikalisierung
126 Seiten
Mandelbaum Verlag, 2015

ISBN: 978385476-481-6