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Ein „Engel“ ist fest in Frauenhand

Heidi Unterscheider (l.) und Brigitte Sulzmann im "Engel".
Heidi Unterscheider (l.) und Brigitte Sulzmann im "Engel". ©Edith Rhomberg
In Daytona Beach beschloss die „Rote Zora“, das Kultlokal wach zu küssen.

Dornbirn. Den „Engel“ im Oberdorf kennt in Dornbirn fast jeder. Die einen, weil sie Stammgäste sind. Die anderen, weil sie schon viel über das Lokal an der Bergstraße Richtung Bödele gehört haben. Mit gerade mal 30 Sitzplätzen ist es nicht wirklich groß. Aber groß oder vielleicht gar klein genug für die Erlangung des Kultstatus. Bis es dazu kam, musste allerdings viel Wasser den daneben rauschenden Steinebach hinunterfließen.

Die jüngere Geschichte beginnt mit der Tochter des Hauses, Brigitte Sulzmann (geb. 1948). Sie ist eines der drei Kinder von Herta (1923–2003) und Franz Hellrigl (1916–1977), den Besitzern des „Engels“ in der bereits vierten Generation.

Die „Rote Zora“

Gitte, ihrer Haarpracht und einer gewissen Wildheit wegen auch bekannt als „Rote Zora“, hatte eine Idee. Diese entstand ausgerechnet in Daytona Beach, gemeinsam mit ihrem damaligen Mann. Gitte fährt auch Motorrad, aber nicht irgendeines. „Mindestens einmal im Leben muss man dabei gewesen sein, beim größten Bikertreffen der Welt, bei der Daytona Bike Week“, heißt es. Für die Engelwirtin reicht das aber nicht: „Ich bin 23 mal da gewesen, wo sich eineinhalb Millionen Leute treffen“, erzählt sie mit großer Begeisterung. Und mit ebenso großer Passion fährt sie noch heute ihre Harley-Davidson.

Entschluss in den USA

In Florida fasste Gitte also den Entschluss: „Zu Hause wird dem seit mehreren Jahren geschlossenen ‚Engel‘ neues Leben eingehaucht“. Punkt. Die Mutti sei erst etwas zögerlich gewesen und dem eindeutigen Wunsch ihrer Tochter eher skeptisch gegenüber gestanden. Mittlerweile befand sich nämlich in den ehemaligen Gaststuben die Näherei eines Kürschners. Trotzdem wurden sich die Beteiligten einig. Das war 1980. Dann wurden Gittes Plänen zuliebe nicht nur die vielen Haare der Pelze aus den Räumlichkeiten entfernt, sondern auch mehr oder weniger die ganze Einrichtung erneuert. „Nur das Täfer an der Wand ist geblieben und der Boden“, sagt Brigitte Sulzmann.

Die Bar ist das Herz des „Engels“. Kein Geringerer als Erwin Höttges hat sie geplant und geschreinert. Das gute Stück hält viel aus, immer noch. Was damals nicht bedacht wurde, holte man später nach – die Tragfähigkeit des Bodens musste vom Keller her nachgebessert werden, der vielen Gäste wegen. Am Tag der Eröffnung, es war der 7. Oktober 1982, dachte noch niemand daran. Im Gegenteil. „Hoffentlich kommen ein paar Leute“, so der bescheidene Wunsch der Wirtin. „Dann standen sie in Viererreihen um die Bar“, erinnert sich Gitte noch heute an den überraschend großen Andrang. Dabei strahlt sie. So wie jetzt, wenn sie ihre drei Hündinnen herzeigt, die sie vor dem sicheren Tod gerettet hat. Nach dem Auf und Ab des Lebens und nach 27 Jahren „Engel“ kam die Zeit für Brigitte Sulzmann, sich zurückzuziehen. Aber nicht ganz. Ein wenig hält sie dem „Engel“ und ihren Gästen immer noch die Treue. Und wenn geröstete Kalbsleber bestellt wird, muss Gitte an den Herd. Bis sie einmal das streng gehütete Geheimrezept, übernommen von ihrer Mutter, herausrückt.

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engel1 ©Das Lokal an der Bergstraße Richtung Bödele hat einen Kultstatus erreicht. (c) Edith Rhomberg

 

Dann kam Heidi Unterscheider. Sie ist die Nichte, geboren 1974 und aufgewachsen in Hard. Am 1. Mai 2009 übernahm die gelernte Hauptschullehrerin den „Engel“. „Das Gastgewerbe gefiel mir schon immer“, sagt sie. „Ich fühlte mich wohl, ob in Wien beim Jobben während des früheren Studiums oder in Dornbirn beim Kellnern im Engel“, betont die junge Wirtin. Unabhängig davon war ihr eine abgeschlossene Berufsausbildung wichtig.

Viel Livemusik

Konzerte standen schon früher immer wieder auf dem Programm. Jetzt lässt Heidi Live-Bands regelmäßig alle zwei Wochen aufspielen. Inzwischen ist der „Engel“ dafür sehr bekannt, eben schon Kult. Sowohl bei den Gästen als auch bei den Bands, die anklopfen, um zu gastieren. Wer als Gast das Glück hat, hinein zu kommen, wenn „Gordon Blue“ auftreten, darf sich nicht wundern, wenn er nicht mehr hinaus kommt. Das ist extrem schwierig, weil es dann so richtig voll ist im Engel. So wie diese Band den Blues spielt und singt, ist schlichtweg auch Kult. Die Tradition wird in mehrerlei Hinsicht fortgeführt. „Der Engel ist immer eine Frauenwirtschaft gewesen“, berichtet Gitte.

Die Männer haben eigene Berufe ausgeübt, waren Schuhmacher, Bauer oder Metzger. Auch das Faible für Motorräder hat Heidi im Blut und teilt es mit ihrem Mann Tom. Sie nennt eine Triumph (Bj. 1970) und eine Honda Tour (Bj. 1977) ihr Eigen. 2014 ließ sie sich den Wind um die Ohren pfeifen von Dornbirn bis nach Istanbul. Im Lokal schlägt sich die Liebhaberei von edlen Zweirädern, die in die Jahre gekommen sind, auch in einer BSA-Ecke nieder. Da trifft sich der gleichnamige Club zum Fachsimpeln. Heidis kreativer Blumenschmuck bildet bei Tageslicht ein sehr stimmiges, fast liebliches Ambiente im Lokal, das schnörkellos Engel heißt. Nachts tritt das Grünzeug in den Hintergrund, und bei Konzerten ist es kaum noch sichtbar, weil etwas umnebelt. Auch deshalb lieben viele den „Engel“. Wie Lisa-Marie, 24, und vielleicht irgendwann Heidis Nachfolgerin. Sie ist nämlich die Nichte…Weitere Informationen unter www.engel-dornbirn.com.

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