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Doppelt verdichtet

©Adolf Bereuter, Petra Rainer
„Als die Kinder aus dem Haus waren, hatten wir Platz. Zuviel für uns, aber eine gescheite Teilung war so, wie die Räume angeordnet waren, nicht möglich.“ Diese Art Leerstand ist gerade bei Einfamilienhäusern häufig. Ein Ehepaar, beide berufstätig, fasste einen starken Entschluss: Es überließ das große Haus Kindern und Enkeln und baute noch einmal.
Doppelt verdichtet

Ihre Architektin, Helena Weber, fand das bauwillige Paar auf der Internetseite der vorarlberger holzbau_kunst, fasziniert von einem Bild: Da wächst ein Baum aus einer Aussparung in einem holzbelegten Hof ins Blaue. Rechts von ihm eine Glasfront mit Tür zu einem Wohnraum, im Hintergrund ein überdachter Sitzplatz, links ein Sichtschutz aus Holzlamellen, alles durch einen hölzernen Kranz in Traufhöhe, der teilweise als Überdachung ausgebildet ist, in eins gefasst. Diese intime und zugleich offene Architektur gefiel ihnen sehr, sie nahmen Kontakt auf und fragten als erstes, ob Helena Weber sich mit dem gut 700 Quadratmeter messenden Grundstück auseinandersetzen wolle. Es liege zwar zentral im Ortsgebiet, sei aber schwierig zu bebauen. Als unregelmäßiges Dreieck fügt es sich in den spitzen Winkel zwischen einer Landesstraße und einer Privatzufahrt für acht Häuser, dazu verläuft es auch noch schräg zum Hang. Ein Doppelcarport für vier Autos stand schon im nordöstlichen Eck an der Privatzufahrt und wurde von den Bewohnerinnen und Bewohnern des benachbarten Mehrfamilienhauses genutzt, das übrige Baufeld diente als Garten. Helena Weber teilte das Grundstück der Länge nach in zwei noch schmalere Dreiecke und entwarf die obere Wohnebene des Hauses als Anbau an den Doppelcarport. Sie ist in Holzbauweise über einem in den Hang gegrabenen Sockelgeschoß aus Sichtbeton errichtet, als ein großer Raum mit eingestellter Box für Schlaf- und Badezimmer, und verjüngt sich zu einem eingefassten Hof im spitzen Winkel des Grundstücks. Der geschlossene Rücken des Zubaus verläuft entlang der Privatzufahrt und springt um die Breite der Eingangstür gegen den Carport vor. Zum Garten und der Landesstraße hin liegen alle weiteren Öffnungen, auch ein zweiter Eingang im Sockelgeschoß. Hier kann man weit in das Rheintaler Vorderland schauen. Auf der Gartenseite ermöglichen zwei stumpfe Winkel in der Fassade die Sicht auf das Mehrfamilienhaus, gleichzeitig sind die großen Fenster der Wohn- ebene aus der nachbarlichen Blickachse gedreht. Auch hier gibt es einen türbreiten Vorsprung am Übergang zum Carport. An ihn schließt ein schmaler, sich zum Ende hin noch weiter verjüngender Schlafzimmerbalkon an. Tiefe Lamellen aus naturbelassener Weißtanne umhüllen Hof und Zubau. An der Gartenseite des Hofs sind sie als Faltelemente ausgebildet, die aufgeschoben werden können.

Das begrünte Dach gleicht als unregelmäßiges konvexes Siebeneck in der Draufsicht alle Vor- und Rücksprünge aus. Unter ihm ergeben sich wie von selbst regengeschützte Wege und Eingänge. An der Naht zwischen Bestand und Zubau ließ Helena Weber das Dach anheben, sodass die Morgensonne durch ein Fenster über dem Carport tief in die obere Wohnebene strahlen kann. Die eingestellte Box schließt mit einem Kranz aus Oberlichten zur Decke hin ab, auch hier scheint die Sonne durch und es ergibt sich ein erstaunlicher Blick. Aus der Gegenrichtung kommt das Abendlicht. Im Hof filtert die Krone eines Ahornbaums die Sommerhitze aus, der Dachüberstand bei den raumhohen Fenstern hält sie ab. Die Wintersonne kann dagegen tief in das Gebäude hinein gelangen.

Schon der erste Entwurf saß wie angegossen, bis auf die Lage der Treppenstufen vom Obergeschoß in den Garten wurde nichts geändert. Die obere Wohnebene ist in sich vollkommen barrierefrei und kann von den Wohnräumen im Sockelgeschoß getrennt werden. Auch ohne den Garten gehört zu ihr eine große Vielfalt an Aufenthaltsmöglichkeiten im Freien. Noch sind es die Kinder und vor allem die Enkel, die die untere Wohnung bei Besuchen nutzen. In zwanzig, dreißig Jahren ist es vielleicht ein Mensch, der das Ehepaar in der oberen Wohnung in Alltagsdingen unterstützt.

Der Begriff Vorsorgewohnung, nur zu oft ein Modell bezeichnend, nach dem Anleger ihr Geld in ungeliebten, unbelebten Beton verwandeln lassen, bekommt hier einen schöneren Sinn. Die Bauherren haben mit der Weitergabe ihres großen Hauses und mit der Nutzung des schwierig zu bebauenden Hanggrundstücks gleich zweimal dafür gesorgt, dass Wohnraum so gut wie nur denkbar genutzt werden kann. Und, wenn man so will, mit der zukünftigen Einliegerwohnung noch ein drittes Mal.

Daten & Fakten

Objekt Haus in Klaus
Bauherr anonym
Architektur HELENA WEBER ARCHITEKTIN ZT, Dornbirn, www.helenaweber.at; Mitarbeit: Arch. DI Philipp Berktold
Statik gbd ZT GmbH, Dornbirn, www.gbd.at
Fachplaner Fachplaner Bauphysik: Spektrum, Dornbirn; Elektro: Mittelberger, Götzis; Heizung, Lüftung, Sanitär: Dorf-Installationstechnik, Götzis; Bauleitung: Dobler, Röthis
Planung 10/2015–8/2016
Ausführung 8/2016–1/2017
Grundstücksgröße 728 m²
Wohnnutzfläche 149 m² (zzgl. 38 m² Keller)
Bauweise: Holzelement- und Holzmassivbau; Fassade:
Weißtanne naturbelassen und Sichtbeton im Hanggeschoß; begrüntes Dach; Fenster: geölte Fichte; Dreifach-Verglasung; Böden: Eiche geölt; Heizsystem/Lüftung: Luftwärmepumpe, Solaranlage
Ausführung: Baumeister: Wilhelm+Mayer, Götzis; Zimmerer: Dobler, Röthis; Fenster: Zech, Dornbirn; Bauspengler: Peter, Götzis; Böden: Christian Greußing, Bezau; Innenausbau: Raumwerk, Wolfurt; Fliesen: Fliesenpool, Götzis; Schlosser: Röthlin, Röthis und Kilga, Koblach und weitere
Energiekennwert 29 kWh/m² im Jahr (HWB)

Leben & Wohnen – Immobilienbeilage der VN

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
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