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donaufestival startete mit diversen tanzenden Körpern

Eindeutigkeiten sind nicht Derrick Ryan Claude Mitchells Sache. Der Kopf der Performancegruppe Saint Genet umgibt sich und seine Mitstreiter gerne mit vielgestaltigen Bildern, die allerlei Assoziationen zulassen. So auch bei der Uraufführung seines neuesten Werks "Frail Affinites": Sie bot am Freitag zum Auftakt des diesjährigen donaufestivals eine abstrakte Heimatsuche voller Melancholie.


Wie für Mitchells Zugang üblich, fanden sich die Besucher in der Zentralen Halle der Kunsthalle Krems in einem offenen, scheinbar schon im Fluss befindlichen Gebilde aus Neonröhren, Opfergaben und Körpern wieder. Ein konkreter Beginn schien hier nicht vonnöten, vielmehr wurde man hineingeworfen in eine helle, strahlende Welt, die durchaus Erinnerungen an rituelle Vorgänge evozierte. Während von der Decke die Lichtstäbe wie ein überdimensionales Mobile baumelten – die Installation “Who With Their Fear Is Put Beside Their Part” kann auch untertags bewundert werden -, suchten sich die acht Performer langsam ihre Positionen.

Der Einsatz des musikalischen Ensembles markierte dann aber doch so etwas wie einen Startpunkt: Ab jetzt galt es für die Gruppe, sich auf den Weg zu machen. Immerhin hat Mitchell die Strapazen der “Donner Party”, jenen US-amerikanischen Siedlern, die im 19. Jahrhundert auf der Suche nach einer neuen Heimat nicht nur Schneestürme, sondern auch Kannibalismus kennenlernten, als Ausgang für diese Performance genommen. An einem Pult in der Ecke stehend, leitete er die kommenden knapp drei Stunden, in denen zwischen vorsichtigen Gruppenchoreografien, knallbunt und psychedelisch anmutenden Lichteinsätzen sowie einer Erörterung des Feindbegriffs changiert wurde.

Schien das Körperliche hier zum mäandernden Fluss zu werden, der weder Anfang noch Ende kennt, diente immerhin die Soundkulisse als Rahmen und Erzählbogen. Unter der Leitung von Brian Lawlor und D. Salo, die für die Kompositionen auch verantwortlich zeichneten, gab es schwebende Streicher, intensives Dröhnen und elegische Momente zu erleben. Inmitten dieser Atmosphäre wurde durch die nur zu deutlich spürbaren Körper, die großteils mit einer Gummischicht überzogen waren, Aufopferung und Verlust vor Augen geführt. Dabei blieb es letztlich auch: Denn trotz einprägsamer Bilder, die Saint Genet auch diesmal erzeugen konnten, verlor sich das Schauspiel zusehends in einer repetitiven Bedeutungslosigkeit, deren einziger Daseinszweck das Ausleben von physischen Extremen zu sein schien.

Ebenfalls den Körper ins Zentrum rückten Marlies Pöschl und Manuel Riegler mit ihrer Installation “Complex”: In der Halle 3 des Messegeländes hat das Duo eine Sound- und Videosituation kreiert, die die Geschlechtertrennung im Iran thematisiert. Die Körper selbst glänzen dabei durch Abwesenheit, stattdessen gibt es Aufnahmen aus Sportkomplexen in Teheran, die mit Field Recordings unterlegt sind. Boxsäcke, Gewichte, Turnmatten – sie alle scheinen benützt, ist die Anstrengung doch deutlich zu hören, und dennoch liegen sie wie nicht beachtet in den Räumen. So werden die Videos zum Sehnsuchtsraum, während die stetig anschwellende Geräuschkulisse die Gedanken kreisen lässt.

Sicht- und spürbar waren schließlich die Besucher selbst, die dank eines vielfältigen musikalischen Programms in erster Linie zur tanzenden Masse wurden: Das begann schon bei Mbongwana Star aus Kinshasa, die im Stadtsaal intensiven Afrobeat servierten und etliche dankbare Abnehmer fanden. Die rhythmische Komplexität wurde vor allem durch reichlich Animation von der Bühne direkt in Energie umgewandelt. Eine Prise Weltmusikflair gab es auch beim abschließenden Auftritt von Omar Souleyman, der seine syrischen Wurzeln dezent mit elektronischen Einsprengseln vermengte und mittlerweile seinen Status als Geheimtipp weiter hinter sich gelassen hat, wie auch die Menge an Zuhörern untermauerte.

Galt er für viele wohl als Highlight, musste Souleyman an diesem Tag die Spitzenposition aber dennoch abtreten: Diese wurde unter den technoiden Vertretern ausgehandelt, durfte man bei Hieroglyphic Being und RP Boo doch die überzeugendsten Klänge vernehmen. Während der eine sein akkurat gezimmertes Elektro-Grundgerüst mit allerlei spacigen Ausflügen dekorierte und auf diese Weise den perfekten Soundtrack zum Sci-Fi-Abenteuer lieferte, gab RP Boo den intelligenten Soundbastler mit Vorschlaghammer. Wer braucht schon Zurückhaltung oder einen vorsichtigen Aufbau, wenn man in Höchstgeschwindigkeit Kopf und Tanzbeine verdrehen kann und mit minimalen Verschiebungen den größten Effekt erzielt? Zum Drüberstreuen gab es wohlschmeckende Melodieversatzstücke. Da hatte der Londoner Rapper Gaika mit seiner Zwischenposition eine wenig dankbare Unternehmung, die er aber anständig und mit viel Einsatz auslebte. So wünscht man sich die Bearbeitung der Trommelfelle auch an den kommenden Festivaltagen.

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