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„Die Tagwache ist abgeschafft“

©MiK
W&W traf sichmit dem ehemaligen Militärkommandanten Gottfried Schröckenfuchs, um über das Heer, Auslandseinsätze, europäische Solidarität, seinen Vater, der gegen das NS-Regime kämpfte und sein privates Leben zu reden.


WANN & WO: Seit 2009 sind Sie in Pension. Wie verbringen Sie Ihre „freie“ Zeit?

Gottfried Schröckenfuchs: Ich hatte einen sehr fordernden Beruf und habe mir gedacht, dass ich in der Pension auch etwas machen muss. Außerdem kann man den Schalter nicht von einem Tag auf den anderen umstellen. Das liegt mir sowieso nicht. Ich habe drei sehr intensive Ehrenämter: Ich bin Präsident des Vorarlberger Tennisverbandes, des Zivilschutzverbandes und bin auch für die Seniorenbörse zuständig. In der Woche habe ich zwei freie Tage (lacht). Das ist das wirklich schöne an der Pension, denn man ist sein eigener Chef.

WANN & WO: Gibt es für Sie noch die Tagwache am Morgen?

Gottfried Schröckenfuchs: Leider nicht mehr. Ich bin ja mein ganzes Leben lang praktisch um 6 Uhr aufgestanden. Seit der Pension muss ich mir einen Wecker stellen, damit ich um 8 Uhr wach werde, sonst würde ich noch weiter schlafen (lacht).

WANN & WO: Woher kommt das starke soziale Engagement?

Gottfried Schröckenfuchs: Mein ganzes Berufsleben stand unter der Zielsetzung Schutz und Hilfe. Das habe ich ernst genommen, auch mein Engagement bei der UN. Ich habe damals auch schon die schreckliche Situation in den libanesischen Flüchtlingslagern miterlebt. Als dann die Pensionierung bevorstand, wollte ich immer ein soziales Projekt in Angriff nehmen, aber ich wollte etwas im Migrationsbereich machen, denn ich spüre immer wieder, dass alte Menschen gewisse Berührungsängste gegenüber dem Fremden haben. Dann ist das Projekt Seniorenbörse zustandegekommen.

WANN & WO: Wie haben Sie Ihre Kindheit bzw. Jugend verbracht?

Gottfried Schröckenfuchs: Ich bin in einem sehr behütetem Elternhaus aufgewachsen. Mein Vater war Gymnasiumsdirektor, meine Mutter Hausfrau. Ich bin sehr katholisch aufgewachsen. Meine Geschwister sind älter als ich, da mein Vater für Österreich gekämpft hat und in der Nacht des Einmarsches (Anmk. 13. März 1938) eingesperrt wurde und praktisch sechs Jahre im KZ, Gefängnis und dann in einem Strafbataillon war. Sein größter Traum war immer gesund zurückzukommen und noch einmal Nachwuchs zu bekommen und ich war dann 1947 das Ergebnis (schmunzelt). Mein Vater hat sich bereits vor dem Anschluss gegen die Nationalsozialisten politisch stark gemacht.

WANN & WO: Rührt davon ihr Engagement, etwa Schutz und Hilfe?

Gottfried Schröckenfuchs: Ja, das kommt sicher von meinem Vater.

WANN & WO: Wie sind Sie zum Militär gekommen?

Gottfried Schröckenfuchs: Ich habe ein Jahr lang in Graz Gesang studiert, aber das hat mir keinen Spaß gemacht. Dann bin ich in Zeltweg eingerückt, ich wollte Pilot werden und da ich eher ein „schlampiger“ Jugendlicher war, hat jeder gesagt „Du und die Militärakademie, ich gebe dir keinen Monat!“ Sieh da, mir hat es an der Theresianischen Militärakademie Spaß gemacht und da ich relativ gut war, hat man mir die Wahl gelassen, wohin ich gehen wolle.

WANN & WO: Und was hat Sie nach Vorarlberg verschlagen?

Gottfried Schröckenfuchs: Ich wollte natürlich nach Graz. 14 Tage vor dem Ende kam ein Freund zu mir: „Kannst du nicht mit mir tauschen, ich bin verheiratet und bin dann schneller daheim“. Ich fragte ihn: „Wohin kommst du?“ Er: „Nach Lochau“. „Wo ist das?“ habe ich gefragt und er: „In Vorarlberg“. Ich habe zugestimmt. Interessanterweise war Vorarlberg mein Maturathema in Geografie: Pfänderbahn, 70 Prozent Textil und guter Käse (lacht). Die Leute hier waren sehr nett, auch wenn ich drei Monate für die Sprache gebraucht habe.

WANN & WO: Was schätzen Sie an Vorarlberg?

Gottfried Schröckenfuchs: Vorarlberger mussten sich immer behaupten, entweder gegen die Habsburger oder die Wiener. Ich schätze die Aufrichtigkeit und die Selbstständigkeit der Bevölkerung und das Selbstbewusstsein. Das hat mich geprägt und ich bin sicher ein gut angelernter Vorarl-
berger.

WANN & WO: Was macht der Brigadier in Ruhestand sonst so?

Gottfried Schröckenfuchs: Ich lese sehr viel geschichtliche Literatur, vor allem die Vorarlberger. Ich musiziere mit meiner Mundharmonika, aber nur für den Hausgebrauch. Viel Radeln im Sommer. Was man halt als Bregenzer macht (schmunzelt).

WANN & WO: Sie waren zwölf Jahre im Landtag. Welche Erfahrungen konnten Sie dort sammeln?

Gottfried Schröckenfuchs: Das war für mich eine sehr prägende und spannende Zeit. Vor allem war der Landtag früher etwas bestimmender. Man konnte mehr Initiativen einbringen. Ich hatte das Gefühl, dass ich in meiner Zeit etwas für das Land mitbewegen konnte. Und die politischen Diskussionen: Eine Auseinandersetzung mit Argumenten und einer fordernden Rhetorik.

WANN & WO: Wie hat sich Ihrer Meinung nach der Grundwehrdiener im Laufe der Zeit verändert?

Gottfried Schröckenfuchs: Seit 1970 begleite ich praktisch die Jugend und deren „emanzipatorische“ Entwicklung. Früher hat man mit Rekruten nicht diskutiert. Die Rekruten sind heutzutage viel selbstständiger und viel interessierter.

WANN & WO: Ist Ihnen einmal ein Missgeschick passiert?

Gottfried Schröckenfuchs: Ich wollte der angetretenen Kompanie meine sportliche Fähigkeit bei einem Grabensprung im Lauteracher Ried unter Beweis stellen. Leider habe ich die Konsistenz des Bodens unterschätzt, habe mich gerade noch hinübergerettet und bin vor der gesamten Kompanie gelandet, sodass nur noch mein Kopf aus dem Wasser geschaut hat (lacht).

WANN & WO: Sie waren auch im Ausland. Wie war das für Sie?

Gottfried Schröckenfuchs: Ich hatte viele interessante Einsätze. Aber ich war nie ein Rambo, den Auftrag habe ich immer bestmöglichst ausgeführt. Ich war am Golan, in Jerusalem, Beirut. Der Sinai war damals gesperrt und Sharm El Sheik war früher eine leere Artilleriestellung, kein Hotelkomplex. In Zypern war ich Kompaniekommandant. Sowohl die UN als auch die Türkei hatten ihre Grenzen auf See anders gesetzt. Und 25.000 Tonnen schwere türkische Kriegsschiffe haben die UN-Grenze gekreuzt und ich musste dann mit zwei Mann in einem kleinen Schlauchboot ausrücken und mit der Fahne wehen (lacht).

WANN & WO: Wie bewerten Sie den Abzug vom Golan?

Gottfried Schröckenfuchs: Negativ.Man wusste, was sich dort unten zusammenbraut und hätte frühzeitig in Mandatsverhandlungen gehen müssen zwecks besserer Ausrüstung. Wir waren die erste Nation dort. Österreich hat eigentlich einen hervorragenden Ruf im Ausland: In brenzligen Situationen hieß es immer: „Call the Austrians“.

WANN & WO: Wie wäre Ihre militärische Expertise zum Syrien-Konflikt?

Gottfried Schröckenfuchs: Man kann das nicht mit einem Rezept lösen, eine geschichtliche Betrachtung gehört ebenfalls dazu. Es gibt über 120 Konfliktparteien und man sieht ja derzeit, wie sich das in Genf spießt. Man muss die komplette Region als strategische Herausforderung für Europa sehen. Eine Befriedung wird eher mit Bodentruppen zustandekommen, z.B. mit einem UN-Mandat wie in Bosnien. Stabilität schrittweise herbeiführen, das wird sicher 10 bis 20 Jahre dauern. Aber es mangelt an europäischer Solidarität.

WANN & WO: Haben Sie militärische Vorbilder?

Gottfried Schröckenfuchs: Mein erster Akademie-Kommandant, General Philipp. Nicht als Vorbilder aber in der Literatur interessant: Geschichtlich gesehen etwa Prinz Eugen oder rein strategisch Manstein.

WANN & WO: Mir als eher dem pazifistischen Lager zugeneigt…

Gottfried Schröckenfuchs: Der größte Pazifist bin ich, denn ich weiß wie es im Krieg zugeht.

WANN & WO: …und einem ehemaligen Zivildiener, welchen militärischen Ratschlag hätten Sie für mich?

Gottfried Schröckenfuchs: Das ist ganz einfach: Eine Zielsetzung, Fakten beurteilen und dann das Ziel verfolgen bis man es erreicht hat. Und sich über das Ergebnis freuen. Mein Sohn hat auch den Zivildienst gemacht, wir führen keinen militärischen Haushalt (lacht).

Die gesamte Ausgabe der WANN & WO hier lesen!

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