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Die Lebenswelt bettelnder Notreisender in Vorarlberg

Im Auftrag des Landes Vorarlberg wurde an der FH Vorarlberg eine Studie zum Thema "Bettelnde Notreisende in Vorarlberg" erstellt. Die Ergebnisse wurden heute präsentiert.
Im Auftrag des Landes Vorarlberg wurde an der FH Vorarlberg eine Studie zum Thema "Bettelnde Notreisende in Vorarlberg" erstellt. Die Ergebnisse wurden heute präsentiert. ©VLK
Im Auftrag des Landes Vorarlberg wurde an der FH Vorarlberg eine Studie zum Thema "Bettelnde Notreisende in Vorarlberg" erstellt. "Es war uns wichtig, mehr über jene Menschen zu erfahren, die sich zum Betteln Vorarlberg als Destination aussuchen. Erst dann können wir geeignete Maßnahmen erarbeiten", sagte Landesrätin Katharina Wiesflecker bei der Präsentation der Ergebnisse im Landhaus.

Die Studie wurde von Erika Geser-Engleitner von der FH Vorarlberg erstellt. Im Zentrum der quantitativen und qualitativen Erhebung standen zwei Fragen:

  • Wie viele Personen bettelten im Untersuchungszeitraum in Vorarlberg?
  • Welcher Gestalt ist die Lebenswelt der Menschen, die in Vorarlberg betteln?

Die Erhebung wurde in zwei Phasen, die erste im Februar und März diesen jahres, die zweite im Mai, durchgeführt. Alle drei bis vier Tage wurden in Vorarlberger Gemeinden und Städten bettelnde Menschen quantitativ erfasst. Bei den Begehungen wurden der Ort, das Geschlecht, das ungefähre Alter, die Tätigkeit und anderes festgehalten. Um einen besseren Zugang zu den bettelnden Personen zu erhalten, haben zwei Roma-Angehörige die Befragung durchgeführt.

Zentrale Ergebnisse

  • Im Erhebungszeitraum wurden in Vorarlberg ausschließlich bettelnde Menschen mit rumänischer Staatsbürgerschaft angetroffen, die sich selber als “Zigeuner, Roma” bezeichneten.
  • Rund 200 Personen sind in Vorarlberg bettelnd unterwegs, überwiegend organisiert in Großfamilien.
  • “Hot-Spots” sind die Städte Feldkirch, Bregenz und Dornbirn.
  • Das Bahnhofsareal Dornbirn wurde im Erhebungszeitraum von den Notreisenden als Checkpoint genutzt. Im ersten Erhebungszeitraum versammelten sich dort täglich ca. 70 Notreisende, im zweiten bis zu 20 Notreisende.
  • Circa die Hälfte aller anwesenden Notreisenden betteln zur gleichen Zeit, während die andere Hälfte etwas anderes tut.
  • Der Frauenanteil (50,8 Prozent) ist höher als der Männeranteil (40,4 Prozent). Der Anteil der bettelnden Kinder betrug 8,8 Prozent.
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  • Fast zwei Drittel der Befragten gaben an, nie eingeschult worden zu sein. Diejenigen, die eine Schule besucht hatten, taten dies zwei bis acht Jahre lang. Besonders ausgeprägt ist das Fehlen jeglicher Schulbildung bei den Frauen.
  • Der überwiegende Teil wurde von den eigenen Eltern in einem Alter zwischen 13 und 19 Jahren (im Mittel 16 Jahre) verheiratet. Das Mitspracherecht bei der Wahl des Ehepartners oder der Ehepartnerin war bescheiden beziehungsweise nicht vorhanden.
  • Die Befragten haben ein bis elf Kinder (durchschnittlich vier). Die Einschulungsrate der Kinder beträgt 79 Prozent. Die Gründe, warum ihre Kinder nicht in die Schule gingen oder diese nur kurz besuchten, sind sehr ähnlich wie die der Eltern.
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  • Von der Hälfte der 16 Befragten ist ein Teil der Kinder in Vorarlberg und ein Teil in Rumänien oder in einem anderen Land. Von sechs Befragten sind alle Kinder in Rumänien oder einem anderen Land als Österreich, während in zwei Fällen alle Kinder in Vorarlberg sind.
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  • Die berufliche Situation und die Einkommenssituation der Befragten in Rumänien werden als extrem schlecht beschrieben.
  • Ein wesentlicher Faktor nach Vorarlberg zu kommen war die Hoffnung oder die Erwartung, leichter als in Rumänien Arbeit zu finden und bessere Verdienstmöglichkeiten anzutreffen.
  • Bisheriger Aufenthaltsort war Italien. Wegen der dort verschlechterten Situation – Wirtschaftskrise und Konkurrenz am (illegalen) Arbeitsmarkt durch Migranten aus Afrika – sind die befragten Personen nach Vorarlberg gekommen.
  • Der Gelderwerb in Vorarlberg erfolgt durch Betteln, Zeitungsverkauf, Gelegenheitsarbeit und ganz vereinzelt mittels Straßenkunst. Typisch ist die Kombination Zeitungsverkauf und Betteln. Mitversorgt werden damit auch Familienmitglieder in Rumänien. Pro Tag und Person sind in Vorarlberg zwischen zehn und 30 Euro zu erbetteln.
  • Nahezu alle Befragten berichten von Erlebnissen mit der Polizei in Form von Kontrollen und Strafen.
  • 75 Prozent der Befragten gaben an, derzeit keine Krankenversicherung für die Familie und sich selbst zu haben. Die Mehrheit der Befragten hat mehrere akute oder chronische Gesundheitsprobleme.
  • Sieben von 16 Notreisenden wollen in Vorarlberg bleiben. Wobei der geplante Verbleib weniger von Wunschvorstelllungen geleitet ist, sondern von fehlenden Alternativen.

Fazit

Landesrätin Wiesflecker sieht in den Ergebnissen wichtige Erkenntnise für die Zukunft: “Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass bettelnde Menschen zu uns nach Vorarlberg kommen und wir einen Umgang damit finden müssen. Das Phänomen der Armutsmigration zu akzeptieren und die Lebensrealitäten der betroffenen Menschen zu kennen, fördert eine konstruktive Auseinandersetzung”.

Zudem sind Initiativen, sowohl in Vorarlberg als auch im Herkunftsland, notwendig, so die Landesrätin. Die Arbeit der beiden Sozialarbeiterinnen ist dabei wesentlich: “Sie leisten wichtige Kommunikations- und Vernetzungsarbeit zwischen den bettelnden Notreisen, der Exekutive und der Mehrheitsgesellschaft”. Gemeinsames Ziel ist es, Kindern in Rumänien eine durchgängige Schulbildung zukommen zu lassen, um Vererbung von Armut zu durchbrechen.

Zwischen Land und Städten ist vereinbart, dass es im kommenden Winter wieder zwei Notschlafstellen geben wird, eine im Oberland und eine im Unterland. In Kooperation mit den Städten werden Standorte gesucht.

In Zusammenarbeit mit Concordia Rumänien plant das Land Vorarlberg eine Kooperation, die direkt in den Gebieten der Notreisenden-Familien, die in Vorarlberg sind, ansetzt. Die geplante Kooperation basiert auf Daten von Concordia Rumänien sowie auf Erkenntnissen aus der Studie der FH Dornbirn. Ziel ist es, vor allem den Kindern und über diese den Familien in der Region Perspektiven zu bieten.

(VLK)

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