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Deutsches Gericht lässt Diesel-Fahrverbote in Städten zu

Das Bundesverwaltungsgericht wies die Revision zurück
Das Bundesverwaltungsgericht wies die Revision zurück ©APA (dpa)
Millionen Dieselauto-Fahrer können voraussichtlich bald nicht mehr unbegrenzt in Ballungsräume mit hoher Luftbelastung fahren. Das deutsche Bundesverwaltungsgericht wies am Dienstag die Revision der Länder Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen gegen die von örtlichen Verwaltungsgerichten geforderten Fahrverbote in Stuttgart und Düsseldorf zurück.

Deren Urteile seien nicht zu beanstanden, erklärte der Vorsitzende Richter Andreas Korbmacher in Leipzig. Fahrverbote sind demnach als letztes Mittel zulässig, um die Grenzwerte für gesundheitsschädliches Stickoxid (NOx) einzuhalten. Sie müssten aber verhältnismäßig sein und nicht auf einen Schlag eingeführt werden. Voraussichtlich würden sie nur in wenigen Ballungsräumen eingeführt.

Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts führt Hamburg bereits ab April auf zwei besonders belasteten Straßenabschnitten Fahrverbote ein. Der Senat der Hansestadt teilte am Dienstag mit, mit der Entscheidung der obersten Verwaltungsrichter könnten die im Luftreinhalteplan im Sommer 2017 beschlossenen Durchfahrtsbeschränkungen angeordnet werden.

“Grundsätzlich kann es nicht sein, dass die Konsumenten für das Ausnutzen aller Spielräume bei der Abgasprüfung durch die Hersteller und auch für das Kontrollversagen der Politik die Zeche zahlen sollen”, kritisierte Bernhard Wiesinger, Leiter der ÖAMTC-Interessenvertretung, die Auswirkungen des Entscheids vom Dienstag. “Fahrverbote wirken für die betroffenen Dieselbesitzer wie eine Enteignung, weil die Fahrzeuge nicht mehr genutzt werden können”, sagte Wiesinger.

Was die Auswirkungen des Urteils auf Österreich betrifft, so hält sowohl der ÖAMTC wie auch die Arbeiterkammer Fahrverbote für unwahrscheinlich: Die Stickstoffdioxid-Werte in deutschen Städten wie München oder Stuttgart mit über 70 Mikrogramm pro Kubikmeter liegen weit über denen in österreichischen Städten, schrieb die AK in einer Aussendung.

Das Urteil könnte die schon wegen des Abgasskandals gesunkene Nachfrage nach Diesel-Pkw weiter einbrechen lassen. Die Autoindustrie wehrt sich vehement gegen Fahrverbote. Aktien von Autoherstellern verbuchten nach dem Urteil Verluste.

Das deutsche Gericht hatte im Rechtsstreit der Länder mit der Deutschen Umwelthilfe (DUH) zu entscheiden. Aber auch rund 20 weitere Städte mit zu hoher Stickoxid-Belastung hat die DUH auf eine Verschärfung der Luftreinhaltepläne verklagt. Denn die hohe NOx-Belastung greift die Atemwege und das Herz-Kreislauf-System an.

Die EU führt jährlich rund 400.000 vorzeitige Todesfälle in Europa auf Schadstoffe zurück, direkt wegen hoher NOx-Belastung seien 2003 rund 70.000 Menschen verstorben. Der seit 2010 geltende Grenzwert von 40 Mikrogramm NOx je Kubikmeter Luft wird an Messstellen in 70 deutschen Kommunen noch immer nicht eingehalten, auch wenn der Trend seit Jahren rückläufig ist.

Fahrverbote könnten nach einer entsprechenden Änderung von Luftreinhalteplänen deutschlandweit für mehr als zwölf Millionen Diesel-Pkw gelten, die noch nicht die neueste Abgasnorm Euro 6 erfüllen. Wie am Wochenende bekannt wurde, hat das Verkehrsministerium bereits eine Änderung der Straßenverkehrsordnung vorbereitet, damit Kommunen selbst Dieselfahrzeuge von belasteten Strecken verbannen können. Darüber hinaus sind viele weitere Maßnahmen wie bessere Verkehrssteuerung oder der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs notwendig, um die Grenzwerte überall einzuhalten.

Wer Fahrverbote kontrollieren soll, ist offen: Nach dem Urteil hat die Deutsche Polizeigewerkschaft gewarnt, die Polizei habe keine Möglichkeiten, Fahrverbote zu kontrollieren. Es stehe fest, “dass die Kapazitäten niemals ausreichen werden”, sagte der Bundesvorsitzende Rainer Wendt gegenüber deutschen Medien. “Polizeikontrollen für Fahrverbote, vergessen Sie’s.”

Die EU-Kommission stuft die bisherigen Anstrengungen Deutschlands zur Verminderung der Stickoxid-Werte als unzureichend ein und droht mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Deutschland steht aber nicht allein am Pranger, sondern zusammen mit acht weiteren Mitgliedstaaten: Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien, Rumänien, Ungarn, der Tschechischen Republik und der Slowakei.

Auch gegen Österreich hat die EU-Kommission Anfang 2016 ein Vertragsverletzungsverfahren wegen der NO2-Belastung gestartet. Grenzwertüberschreitungen gab in diesem Jahr an elf von insgesamt 142 Messstellen.

(APA/ag./dpa)

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