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Der letzte Entertainer ist abgetreten: Jopie Heesters ist tot

Der letzte große Entertainer ist tot.
Der letzte große Entertainer ist tot. ©dapd
Mit Johannes "Jopie" Heesters ist ein Jahrhundertentertainer verstorben - oder besser gesagt ein Zwei-Jahrhundertentertainer: Mit 108 Jahren hat der gebürtige Niederländer nicht nur das 20. Jahrhundert mit all seinen Krisen und Kriegen beinahe vollständig miterlebt, sondern auch ein gutes Stück des 21. Jahrhunderts noch persönlich gesehen.

Dabei galt er über viele Jahre hinweg als der älteste aktive Schauspieler der Welt – und bis zuletzt als ebenso lebenslustig wie die Rolle seines Lebens – Graf Danilo aus der “Lustigen Witwe” mit dem Evergreen “Heut’ geh’ ich ins Maxim”. Über 1.600 Mal hat Heesters ihn verkörpert. Und schon als er die 100 hinter sich gelassen hatte, meinte der Grandseigneur der Operette: “Ich bin gut durchgekommen. Es war ein großes Abenteuer.”Berlin. Dem Ende näherte sich dieses Abenteuer bereits kurz vor seinem 108. Geburtstag Anfang Dezember, als Heesters nach einem Schwächeanfall ins Spital eingeliefert werden musste. Feiern konnte der Schauspieler dann aber doch wieder zu Hause im Kreise seiner Familie, bevor er kurz vor Weihnachten am 17. Dezember wieder auf die Intensivstation des Klinikums Starnberg kam. Am 24. Dezember verstarb Heesters schließlich im Kreise seiner Familie.

Generationen von Verehrerinnen deutscher Zunge wollte der am 5. Dezember 1903 im holländischen Amersfoort geborene Johannes Marius Nicolaas Heesters als singender Charmeur alter Schule und Gigolo mit Frack, weißem Seidenschal, Nelke im Knopfloch und dem Champagnerglas in der Hand ins Pariser “Maxim” locken. Den Grundstock für diesen Erfolg im deutschen Sprachraum hatte Heesters 1934 in Millöckers “Der Bettelstudent” in der Wiener Volksoper gelegt.

Es folgte zahlreichen Auftritte in verschiedenen Wiener Etablissements, bevor 1935 der erste Auftritt in Berlin an der Komischen Oper anstand. Abseits dieser dandyhaften Bühnenauftritte, fasste der Niederländer aber auch bald in der unter den Nazis florierenden deutschen Filmwelt Fuß. Bis zum Ende des Krieges trat er in 20 Operetten und harmlosen Liebeskomödien der UFA auf – eine Karriere, die der Künstler nahtlos auch in die 1950er Jahre rettete, in denen er jährlich teils für mehrere Filme vor der Kamera stand.

Filmisch gesehen wurde es in den 1960ern und 1970ern dann allerdings völlig ruhig um den einstigen Star, der dafür umso häufiger im Fernsehen zu sehen war. Zugleich wollte Heesters bis ins hohe Alter nicht von der Bühne lassen und ging als greiser Casanova in Karl Gassauers “Casanova auf Schloss Dux” ab 1986 auf Tournee. Ab 1996 stand er erstmals mit seiner Ehefrau, der Schauspielerin Simone Rethel, auf der Bühne am Berliner Kurfürstendamm in dem eigens für ihn geschriebenen Stück “Ein gesegnetes Alter” von Curth Flatow.

Zum 105. Geburtstag spielte Heesters noch in Hamburg den greisen Kaiser Franz Joseph im Singspiel “Im weißen Rössl”, 2009 die Stimme Gottes im “Jedermann” in Stuttgart und 2010 den König in Rolf Hochhuths “Inselkomödie” am Berliner Ensemble. Dabei erinnerte sich der betagte Künstler auch noch an die allerersten Auftritte: “Ich habe den ersten Applaus noch in den Ohren.” So viel Engagement wurde gewürdigt: Zehn Bambis gewann Heesters im Laufe seines Leben, 2001 kam die Platin-Romy für sein Lebenswerk hinzu.

Dabei blieb der Über-Hundertjährige stets im Gespräch – nicht zuletzt ob seiner Karriere während der NS-Herrschaft. Noch 1938 wagte Heesters , in den Niederlanden mit geflüchteten deutschjüdischen Schauspielern aufzutreten. Seine Filmkarriere in Nazideutschland belastete dennoch das Verhältnis von Heesters zu seinem Heimatland. Immerhin konnte sich der Greis 2008 einen Herzenswunsch erfüllen und zum ersten Mal nach fast einem halben Jahrhundert wieder in seiner Geburtsstadt Amersfoort auftreten. Zuvor war Heesters, der “Lieblings-Danilo” Hitlers, von den niederländischen Bühnen jahrzehntelang boykottiert worden.

Dennoch kam es im gleichen Jahr zu einer medialen Aufwallung, als die Macher einer niederländischen Satiresendung Heesters zum Geburtstag interviewten und dieser auf die Frage des Journalisten, ob Hitler ein guter Bursche gewesen sei, antwortete “Ein guter Kerl.” Auf den empörten Einspruch seiner Frau relativierte Heesters seine Aussage: “Nein, das war er nicht. Aber für mich.”

Noch im hohen Alter setzte er sich in Berlin sogar vor Gericht zur Wehr gegen die Behauptung des Publizisten Volker Kühn, er sei bei seinem Besuch mit dem Ensemble des Münchner Gärtnerplatztheaters 1941 im KZ Dachau dort auch vor den Wachmannschaften aufgetreten. Sein Widerspruch gegen diese Aussage endete 2010 in einem Vergleich. Kühn erklärte demnach, er sei weiterhin davon überzeugt, dass Heesters in Dachau aufgetreten sei. Er werde diesen aber nicht mehr als Lügner bezeichnen, wenn er einen Auftritt bestreite. Der Besuch selbst wird jedenfalls in dem von seiner Rethel Frau 2006 herausgegebenen Fotoband (“Ein Mensch und ein Jahrhundert”) dokumentiert.

Seiner Gattin, die er 1992 ehelichte, blieb Heesters, zum Schluss fast blind und mit dem Gehör kämpfend, bis zuletzt eng verbunden. So gab er kurz vor seinem 107. Geburtstag das Rauchen für sie auf: “Aus Liebe zu meiner wunderbaren Frau. Sie soll noch möglichst lange was von mir haben.”

An Wiedergeburt oder Auferstehung nach dem Tod glaubte der Katholik indes nicht. “Mein Gott, was soll denn da noch kommen! Es muss irgendwann vorbei sein”, sagte er einmal im Interview.

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