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"Das ideale, falsche Ich" beim ImPulsTanz

ImPulsTanz - Harings "False Colored Eyes": Das ideale, falsche Ich
ImPulsTanz - Harings "False Colored Eyes": Das ideale, falsche Ich ©APA
Auf der ImPulsTanz-Bühne wirkt es seltsam entrückt, das ideale Ich, das Andy Warhol in den 60er-Jahren auslotete und das mittlerweile durch die Neuen Medien allgegenwärtig ist.

Überdruss führt zwangsläufig zur Implosion, konstatieren Chris Haring und seine Performancegruppe Liquid Loft – und stellen dies bildstark in “False Colored Eyes”, das am Mittwochabend Premiere im Kasino in Wien feierte, unter Beweis.

“Imploding Portraits Inevitable”-Serie

Die vom ImPulsTanz-Festival und dem Wiener Burgtheater präsentierte Performance bildet den zweiten Teil der “Imploding Portraits Inevitable”-Serie, in deren Rahmen sich der österreichische, preisgekrönte Choreograf Haring und seine Truppe performativ mit dem filmischen Schaffen Warhols auseinandersetzen. Dem neuesten Stück liegen vorrangig die “Screen Tests” zugrunde, eine rund 500 filmische Porträts umfassende Serie aus den Jahren 1964 bis 1966, für die Warhol Prominente und Normalos vor die Kamera holte, im Close-up drei Minuten lang nicht von ihnen abließ und so Intimstes offenbarte.

Liquid Loft greifen diesen insistierenden Blick auf, inszenieren mit “False Colored Eyes” eine befremdliche Ego-Schau, in der die sechs Tänzer sich und ihre Körper unentwegt selbst inszenieren, einander mit Kameras filmen und mit Scheinwerfern beleuchten, und dabei nie so recht von dieser Welt scheinen. Zwei Leinwände grenzen die Bühne im Kasino am Schwarzenbergplatz ab, teilen das Geschehen in vier Ebenen: Da gibt es das Happening auf der Bühne, die Schatten an der rechten Wand sowie die live generierten, oft gedoppelt, verzerrt oder zeitverzögert projizierten Bilder der Performer und eingespielten Rückblenden auf der linken Wand. Visuelle Überforderung als Sinnbild für den Überdruss der Selfiekultur, quasi.

Impulstanz in Wien

Geleitet von einem unheimlichen, teils dröhnenden Klangteppich und getaucht in wechselnde Farben, bewegen sich die Performer (darunter Arttu Palmio als schräger Warhol-Lookalike, die grandiose Stephanie Cumming und die schwangere Anna Maria Nowak) durch den Raum. Teils in Zeitlupe oder beschleunigt wird einzeln oder paarweise getanzt, gezuckt, gewackelt, Haut entblößt und verdeckt, an Kleidung gezogen und gezerrt, mit Haut und Haaren anderer gespielt, und natürlich: posiert. Durchbrochen wird die Interaktion immer wieder durch den suchenden Blick in die Kamera, die ständige Anziehung hin zum Objektiv, erst mit dem Gesicht, dann mit Körperteilen, die überproportioniert auf die Wand geworfen werden. Von schweißigen Achselhöhlen über zarte Härchen über den Lippen bis hin zum Gaumenzäpfchen fängt die Kamera das radikal Private porentief ein.

Das Ganze noch rätselhafter machen schwer verständliche Dialogfragmente u.a. aus amerikanischen Werbespots, zu denen sich die Lippen der Performer leicht asynchron bewegen. Wie Licht, Sound und Farbe ändern sich auch die Stimmungslagen der Agierenden, von sinnlicher Ruhe zu aufgesetzter Euphorie, sich steigernd zur schieren Überforderung, die sie immer wieder dem Rad der Selbstinszenierung austreten lässt. Am Schluss weichen Klangteppich und Farbsetting Stille und fahlem Licht, und scheinen die Performer verloren, nur sich selbst ausgesetzt. Statt grotesker Züge nun noch: Leere Gesichter.

Die finden sich zu diesem Zeitpunkt auch im Publikum, bei dem sich nach dem anfänglichen Staunen bereits großflächig kollektive Müdigkeit eingestellt hat. In ihrer ständigen Wiederholung ohne Höhepunkt hat die (Selbst-)Inszenierung noch vor Ablauf der 70 Minuten ihren Reiz verloren. Wohlwollenden Applaus gibt es trotzdem – und Küsse von Haring für die in ihrer Körperlichkeit und Ausdauer beeindruckenden Tänzer.

  • Liquid Loft/Chris Haring: “False Colored Eyes”, eine Koproduktion des ImPulsTanz-Festivals mit dem Wiener Burgtheater im Kasino am Schwarzenbergplatz. Künstlerische Leitung und Choreografie: Chris Haring, Komposition und Sounddesign: Andreas Berger, Lichtdesign und Szenografie: Thomas Jelinek, Kostüm: Julia Cepp, Mit: Luke Baio, Stephanie Cumming, Katharina Meves, Anna Maria Nowak, Arttu Palmio, Karin Pauer. Weitere Termine: 30. April sowie 5. bis 9., 12. und 13. Mai, jeweils 20 Uhr.

(APA)

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