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Das Gehör ist ständig auf Draht

Das Gehör ist zwar eines der empfindlichsten, aber auch leistungsfähigsten Sinnesorgane. "Und es ist das einzige Sinnesorgan, das keine Pause macht, weil es Geräusche selbst in der Nacht registriert", verdeutlichte der Bregenzer HNO-Facharzt Dr. Georg Hollenstein beim Mini Med Studium die Anforderungen, die unsere Ohren täglich bewältigen müssen.
Der Vortrag als Video

Und es braucht das Gehör, um die Sprache zu erlernen. Einschränkungen durch Krankheit oder Unfall wirken sich da schnell negativ auf den Alltag aus. Vielfach gelingt es der heutigen Medizin jedoch, Hörstörungen medikamentös oder operativ zu beheben.

Auch das Gehirn vergisst

Bereits Neugeborene verfügen über ein vollentwickeltes Gehör. Ob es auch funktioniert, wird mittels Hörscreening zwei Tage nach der Geburt getestet. In Vorarlberg kommen jährlich etwa 4 bis 6 Babys mit einer hochgradigen Hörstörung zur Welt. Sie erhalten in den meisten Fällen noch im ersten Lebensjahr ein sogenanntes Cochlear-Implantat, das den Hörnerv elektrisch stimuliert und so die Hör- und Sprachentwicklung unterstützt.

„Bei Erwachsenen funktioniert diese Methode nur, wenn sie sprechen gelernt haben“, erklärte Primar Dr. Wolfgang Elsäßer, Leiter der HNO-Abteilung im LKH Feldkirch. Denn das Gehirn speichert ausschließlich Worte, die es immer wieder hört. Wird also eine schwere Hörstörung nicht behoben, vergisst auch das Gehirn alles Gesagte und der Patient muss die Sprache im Falle einer Behandlung neu lernen. Die Abhängigkeit vom Gehör ist also groß.

Langer Weg zum Arzt

Trotzdem dauert es laut Georg Hollenstein durchschnittlich zehn Jahre, bis Betroffene einen Arzt aufsuchen. „Häufig ziehen sich schwerhörige Menschen zurück, weil sie sich von ihrer Umwelt nicht mehr verstanden wissen, und vereinsamen“, berichtete Hollenstein. Als Ursache für Hörstörungen listete er Verletzungen, Entzündungen, Tumore, Lärmtraumata, ständige Lärmbelastung und Medikamente auf.

So ist beispielsweise die Lärmschwerhörigkeit die mit Abstand häufigste Berufserkrankung. Die bei Jugendlichen beliebten MP3-Player bringen ebenfalls bis zu 105 Dezibel aufs Ohr. „Auch mit einem zweistündigen Discobesuch ist die wöchentlich zulässige Lärmbelastung oft schon erreicht“, veranschaulichte der HNO-Arzt. Ein plötzlicher Hörverlust bedeutet aber nicht immer gleich Schlimmes. Oft verstopft nur Ohrenschmalz die Leitungen.

Bei Schnupfen ist es die Flüssigkeit hinter dem Trommelfell, die das Hörvermögen um 40 Prozent herabsetzt. Der Hörsturz allerdings gleicht einem Infarkt, der „alle treffen kann“, wie Hollenstein betonte. Bei etwa 70 Prozent kommt es innerhalb von 24 Stunden zu einer Spontanheilung. Im anderen Fall kommen vorrangig durchblutungsfördernde Maßnahmen zum Einsatz.

Ein Problem stellt häufig noch die Verwendung von Hörgeräten dar. Hier bestehe eine Unterversorgung. Dabei hat eine Studie der Universität Erlangen herausgefunden, dass Hörgeräte wieder schlauer machen und einen wesentlichen Beitrag zur Verhinderung des geistigen Abbaus leisten. Die Forschung wiederum ist auf dem Weg, hörschädigende Gene zu enttarnen und durch gesunde zu ersetzen. Und sie konzentriert sich darauf, abgestorbene Haarzellen im Innenohr künstlich herzustellen.

Millimeterarbeit

Bereits Standard ist die operative Sanierung von Hör­störungen mittels kleinster Prothesen. Primar Wolfgang Elsäßer demonstrierte anhand kurzer Videosequenzen, wie beschädigte Knochenteile im Ohr in Millimeterarbeit durch filigrane Titanprothesen ersetzt werden. Auch Hörgeräte können zum Teil bereits implantiert werden.  

Ein chronischer Tinnitus ist unheilbar”

 Als Volksseuche bezeichnete Wolfgang Elsäßer den Tinnitus. In Österreich plagen sich rund 800.000 Menschen mit mehr oder minder starken ständigen Ohrgeräuschen herum.

Bei etwa einem Prozent führen sie zu schwersten Beeinträchtigungen der Lebensqualität. Tinnitus kann im gesamten Gehörsystem entstehen. Als Ursachen kommen Entzündungen und Verletzungen, aber auch Stress in Frage. „Ein akuter Tinnitus dauert etwa drei Monate“, erklärte Elsäßer. Danach wird er chronisch.

Gute Aufklärung

Bei einer schnellen Therapie betragen die Heilungschancen 70 Prozent. „Im chronischen Stadium ist keine Heilung mehr möglich“, musste der Primar den fast 400 Besuchern im Cubus mitteilen.

Die meisten der angebotenen Therapien seien reine Geldmacherei, warnte er. Wichtig ist laut seinen Aussagen die gute Aufklärung und Beratung des Patienten. Das trage zur Beruhigung bei. Als weitere Maßnahme wird ein Gewöhnungstraining durchgeführt.

„Der Patient wird 4 bis 6 Stunden täglich beschallt“, erklärte Elsäßer. Damit soll eine Ablenkung vom lauten auf den leisen Tinnitus erreicht werden. Diese Beschallung kann bis zu zwei Jahren dauern. Des Weiteren riet der Arzt zu Entspannungsverfahren – „alles was hilft ist legitim“ – und zur Unterstützung durch die am Landeszentrum für Hörgeschädigte in Dornbirn angesiedelte Selbsthilfegruppe.

Andere Anwendung

Außerdem startet im LKH Feldkirch nächste Woche eine Studie für Tinnitus-Betroffene ab dem Stadium 3. Dabei soll die Wirksamkeit eines speziellen Medikamentes getestet werden. Es wird bereits als Infusion angewendet.

„Nun wollen wir prüfen, ob eine Verabreichung mittels Gehörgangsstreifen ebenso nützt“, begründete Elsäßer. Interessenten könnten sich in der HNO-Abteilung oder beim Landeszentrum für Gehörgeschädigte melden.

FRAGEN AUS DEM PUBLIKUM

Wovon hängt es ab, ob ein akuter Tinnitus chronisch wird?

Elsäßer: Das ist oft Zufall, aber der unbehandelte Tinnitus wird in den meisten Fällen chronisch.

Können Sie uns etwas zum Neurostimulator sagen, der in Deutschland schon beworben wird?

Elsäßer: Der Neurostimulator kostet Geld, doch den Beweis, dass er das kann, was in der Werbung angepriesen wird, ist er uns noch schuldig.

Muss ich auch bei Tinnitus mein Gehör vor Lärm schützen?

Elsäßer: Das Gehör ist gleich empfindlich für Lärmschäden, ob Sie einen Tinnitus haben oder nicht.

Hollenstein: Das Tragen eines Gehörschutzes bei Arbeiten mit Lärmbelastung ist unbedingt notwendig. Leider stellt das immer noch ein großes Problem dar. Es gibt kaum Tischler, die einen Gehörschutz tragen.

Werden heute die gleichen Medikamente gegen Tinnitus eingesetzt wie früher?

Elsäßer: Ja, es sind im Wesentlichen die gleichen. Eine Infusionstherapie ist die maximale Therapie bei Tinnitus.

Muss man nach einer Trommelfellperforation mit einem reduzierten Hörvermögen rechnen?

Elsäßer: Es kommt auf die Größe an. Eine kleine Perforation verursacht nur eine leichte Hörstörung, bei einer großen kann sie beträchtlich sein. Sind auch die Gehörknöchchelchen betroffen, wird das Hörvermögen sehr schlecht. Aber beides lässt sich operativ beheben.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Halswirbelsäule und Tinnitus?

Elsäßer: Ja, den gibt es, denn auch dort verlaufen Nervenbahnen, die Einfluss auf das Innenohr haben. Durchblutungsstörungen in diesem Bereich können Tinnitus oder einen Hörsturz verursachen.

Ich höre gut, verstehe aber schlecht. Was ist das?

Hollenstein: Das sind erste Anzeichen einer Schwerhörigkeit. Sinnvoll wäre ein Hörtest oder ein Sprachaudiogramm. Dann kann man auch feststellen, ob ein Hörgerät Sinn macht.

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