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"Das Bild des toten Cains seh' ich auch heute noch"

©Dietmar Stiplovsek
Dr. Edgar Veith aus Götzis rückte als Pflichtverteidiger von Milosav M. im Fall Cain in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Mit WANN & WO sprach er über Morddrohungen, den Rechtsstaat und das kranke System, in dem wir seiner Ansicht nach leben.

WANN & WO: Der Fall Cain, wie er in den Medien betitelt wurde, hat große Wellen geschlagen und Sie in das öffentliche Interesse gerückt. Wie war es für Sie, plötzlich im medialen Rampenlicht zu stehen?

Dr. Edgar Veith: Ich habe meine Bekanntheit zunächst gar nicht so mitbekommen, zumal ich eigentlich immer am arbeiten bin. Es ist mir aber aufgefallen, dass mir Menschen nachschauen. Dies mag nicht nur an meiner Schönheit gelegen sein (lacht). Leider wurden auch öfters sehr unvorteilhafte Fotos von mir verwendet. Ich hatte damals noch einen Bartansatz und kürzere Haare als heute und sah auf manchen Fotografien aus, wie ein SS-Offizier. Dagegen musste ich etwas tun: Der Bart kam ab, die Haare wurden länger.

WANN & WO: Sie sahen sich während des Prozesses enormer Kritik ausgesetzt, sowohl seitens der Staatsanwaltschaft, als auch aus der Bevölkerung. Sie bekamen sogar Morddrohungen, andere wollten ihre Kanzlei „abfackeln“, sollte Milosav M. freikommen. Wie geht man mit so etwas um?

Dr. Edgar Veith: Im Strafverfahren sitzt man der Anklagebehörde und somit der Staatsanwaltschaft gegenüber. Es kommt vor, dass sie mich kritisiert. Ebenso, dass ich die Staatsanwaltschaft kritisiere. Kritik ist absolut in Ordnung. Die meisten Menschen wollen lieber durch Lob ruiniert, als durch Kritik gerettet werden. Ich bin auch deshalb so weit gekommen, weil mich die Kritik anderer Menschen stets interessiert hat. Ich nehme sie sehr ernst und bin auch sehr dankbar über eine fundierte und gute Kritik. Es kommt auf die Qualität an. Drohen lasse ich mir nicht. Man kann mich auch nicht einschüchtern. Ich bin eine Hausgeburt aus Dalaas und somit in einem Graben und unter kargen Menschen aufgewachsen. Dies sehr bescheiden. Wir mussten auch viel arbeiten. So schnell haut mich heute nichts mehr um. Im Übrigen bin ich meinen Mandanten gegenüber verpflichtet und nicht der Bevölkerung. Viele Menschen haben ihre Emotionen nicht im Griff. Sie sollten an sich arbeiten. Zudem ist es mir lieber, wenn die Menschen über den Tod eines Kindes aufgebracht sind, als dass sie so etwas kalt lassen würde. Ich fand es auch sehr schön, dass sich damals so viele Menschen in Bregenz zu einer Mahnwache getroffen und Kerzen angezündet haben. Ich war sehr gerührt und wäre am liebsten selbst hingefahren. Privat habe ich natürlich einige Sicherheitsvorkehrungen getroffen, aber ich habe die Drohungen nicht weiter an mich herangelassen.WANN & WO: Wo fanden Sie Halt während des Prozesses?

Dr. Edgar Veith: Ich bin ein Familienmensch. Die Familie ist meine Tanksäule. Meine Kinder waren damals noch zu klein, um etwas mitzubekommen. Aber meine Frau hat mich sehr unterstützt. Sie ist auch eine sehr starke Person und ich bin ihr wirklich dankbar dafür.

WANN & WO: Der Fall Cain war umso tragischer, weil ein kleines Kind ums Leben kam. Wie schwierig ist es für einen Juristen, einen Menschen zu verteidigen, dessen Tat man selbst vielleicht aufs Schärfste verurteilt? Ist das nicht eine schwierige Gratwanderung?

Dr. Edgar Veith: Zuerst musste ich den Akt immer wieder beiseite legen. Ich konnte mich auch nicht mehr auf die anderen Akten konzentrieren, weil ich immer die Fotos vom toten Cain, wie er auf den Tisch der Pathologie liegt, vor mir sah. Schlimm war auch, dass der kleine Cain Ähnlichkeit mit meinem Sohn hatte, welcher zur betreffenden Zeit fast gleich alt war. Es war nicht das Geschwätz der Menschen, das mir durch den Kopf ging, sondern dieses Kind. Ich sehe die Bilder heute noch und daran wird sich vermutlich auch künftig nichts mehr ändern. Damit muss ich leben. Ich musste aber auch zur Kenntnis nehmen, dass ich nichts mehr ändern kann. Ich konnte diesem Kind ja nicht mehr helfen. Daneben habe ich auch nie die Tat verteidigt, sondern den Menschen. Unser Rechtsstaat kennt keine Emotionen. Unser Beruf stellt eine abstrakte Tätigkeit dar. Entweder man schafft diesen Spagat oder man ist in diesem Beruf fehl am Platz. Daneben gilt unser Rechtsstaat für alle. Da gibt es nicht separate Normen für Menschen, die am Rande der durchschnittlichen oder gewünschten Gesellschaft stehen.

WANN & WO: War der Cain-Prozess ihr bisher schwierigster Fall?

Dr. Edgar Veith: Von der Bearbeitung her, ist die Causa Cain gekennzeichnet, weil ich noch nie so oft mit meinen Rechtsmitteln sprichwörtlich gegen Wände gerannt bin, wie in diesem Fall. Auch die mediale Berichterstattung trug ihren Teil dazu bei. Irgendwann hatte ich sogar das Gefühl, dass sich der Rechtsstaat aufgelöst hat.

WANN & WO: Und welches war Ihre kurioseste Causa?

Dr. Edgar Veith: Da gibt es viele. Die Verrückten sterben bekanntlich nicht aus. Einmal kam ein Mann zu mir, der mir mitteilte, dass er Vater wird und für das Kind diverse Vorkehrungen treffen will. Es ging um eine allgemeine Rechtsberatung. Ein paar Monate danach kam er wieder. Die Frau war gar nicht schwanger, sondern hat ihm die Schwangerschaft nur vorgetäuscht. Sie hat sich hierfür sogar etwas um den Bauch gebunden und dem Mandanten Ultraschallbilder vom angeblichen Kind aufs Handy geschickt. Sie gingen auch gemeinsam Kindersachen und Möbel kaufen. Plötzlich soll die Nachricht gekommen sein, dass das Kind verstorben sei. Der Mann war völlig außer sich und fuhr sofort ins Krankenhaus. Doch dort kannte niemand die Frau. Schließlich ging er zur Polizei. Nachdem die Wahrheit ans Tageslicht kam und mein Mandant in Anwesenheit der Polizei die Frau fragte, warum sie das gemacht hat, meinte sie nur: “Damit du auch einmal weißt, was es bedeutet, Schmerzen zu haben.” Der Mann brauchte schlussendlich ärztliche Hilfe. Diese hätte man meines Erachtens auch der Frau zukommen lassen sollen.

WANN & WO: Was wäre Edgar Veith, wenn er nicht Jurist geworden wäre?

Dr. Edgar Veith: Ich habe früher viel Musik gemacht und wurde etwa mit 20 auch von der österreichischen Talentebörse ausgezeichnet. Heute spiele ich aber nur noch für mich, Familie und Freunde – Konzerte gebe ich keine mehr. Auch nach einer schwierigen Verhandlung oder einem schwierigen Akt, nehme ich oft noch meine Gitarre in die Hand und spiele ein Stück. So kann ich abschalten. Ich liebe das Musizieren und möchte künftig auch mehr klassische Gitarre spielen. Auch am Klavier versuche ich mich zwischendurch. Ich hatte früher überdies ein komplettes Studio zuhause und habe bereits ein deutschsprachiges Album veröffentlicht. Die Studiotechnik habe ich aber längst verkauft und mit dem Album habe ich mir meine musikalischen Träume erfüllt. Musik wurde mir in die Wiege gelegt und auch meine beiden Kinder sind sehr musikalisch. Wäre ich nicht Anwalt geworden – wer weiß, vielleicht wäre ich heute Musiker, Autor oder Architekt. Irgendwann schreibe ich auch einmal ein Buch, den Titel hab isch schon: “Wie krank ist unser System?”

WANN & WO: Wie krank ist denn unser System ihrer Ansicht nach?

Dr. Edgar Veith: Sehr krank. Das Problem ist, dass wir überreguliert sind und der Rechtsstaat in der Praxis oft von unfähigen Personen gelenkt wird. Unser Rechtsstaat ist zu theoretisch und geht davon aus, dass man das ganze Leben in Normen gießen kann. Tatsächlich ist das Leben aber viel mannigfaltiger und bunter. Die Praxis weicht von der Theorie ab. Der Rechtsstaat sollte für die Menschen da sein und nicht die Menschen für den Rechtsstaat. Unser Rechtsstaat verschlingt Unsummen von Geld und geht oft am eigentlichen Problem vorbei. Ich vermisse oft den Hausverstand. Ich kann heute jeden Gesetzestext juristisch so zerlegen, dass nichts mehr von der Norm übrig bleibt. Rechtsstaat bedeutet für mich auch Rechtssicherheit. Die gibt es aber schon lange nicht mehr. Kein seriöser Rechtsanwalt kann heute den Ausgang eines Verfahrens im Vorfeld mit Sicherheit prognostizieren und wird dies auch nicht tun. Wir bekommen immer mehr US-amerikanische Verhältnisse. Und es wird in Zukunft nicht besser werden.

Lesen Sie die ganze Ausgabe der WANN & WO hier!

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