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Daheim-Gefühl

©Albrecht Imanuel Schnabel
Die neuen „Häuser der Generationen“ in Koblach widerlegen mühelos das überkommene Bild des Altenheims, das deren Vorgänger vom Typ „Versorgungsheim“ noch anhaftete. Seine Betreiber wollen die Selbstständigkeit der Bewohnerinnen und Bewohner so gut wie möglich fördern. Diese Philosophie zeigt sich auch in der Architektur, die dem Wohnen den Vorrang gibt und das Thema Pflege optisch in den Hintergrund treten lässt.
Daham-Gefühl

Studien sagen für die kommenden Jahrzehnte eine dramatische Veränderung der Altersstruktur unserer Gesellschaft voraus: Immer mehr Menschen erreichen ein hohes Alter und brauchen Betreuung, Pflege und Begleitung. Ein Teil dieser Menschen wird in Pflegeheimen wohnen. In ihrem letzten Lebensabschnitt möchten sie nicht „aufbewahrt“ werden, nicht ausgegrenzt sein und bevormundet werden. Glücklicherweise sind bei uns die Zeiten, in denen Pflegeheime noch reine Verwahrungs- und Versorgungsanstalten waren, vorbei. Die jüngste Generation der Heime entsteht nicht außerhalb, sondern innerhalb der Ortszentren oder im Siedlungsgebiet. Mit Gebäuden, die gleichermaßen pflegebedürftigen und nicht pflegebedürftigen Senioren dienen, schaffen Architektinnen und Architekten heute neue Typen, die dem Leitbild der Familie folgen. An den „Häusern der Generationen“ in Koblach wird das besonders deutlich.

In zentraler und gleichzeitig naturnaher Lage stellte die Gemeinde Koblach ein zusammenhängendes Grundstück mit rund 9000 m2, angrenzend an das bestehende Versorgungsheim, bereit.

Der Vorbereitungsphase folgte 2013 ein Architekturwettbewerb, den die Bregenzer Architekten Cukrowicz Nachbaur gewannen. Für die Umsetzung konnten die gemeinnützige Wohnbauvereinigung VOGEWOSI als Bauträger und die Sozialdienste Götzis für Verwaltung, Pflege und Betreuung gewonnen werden. Neben der Anpassung des Versorgungsheimes an eine neue Nutzung für die sozialen Dienste des Ortes wurden zwei Baukörper errichtet: ein zweigeschoßiges Pflegeheim für 36 Personen und ein dreigeschoßiges Wohnhaus mit 16 gemeinnützigen Mietwohnungen sowie einer betreuten Wohngruppe.

Die Architekten setzten die neuen Baukörper so, dass ein gemeinsamer Platz zwischen den drei Gebäuden entstanden ist. Er dient als Zugang zu den Häusern und wird außerdem zu einem Ort, an dem sich die Bewohner und auswärtige Besucher ungezwungen begegnen können. Mit Brunnen und Sitzbänken zitiert er die Situation eines Dorfplatzes. Die Komposition aus drei Baukörpern von unterschiedlicher Größe und Höhe sowie einer dezent nuancierten Farbgebung nimmt aber auch Bezug auf die baulichen und naturräumlichen Gegebenheiten der Umgebung. Abgerückt von der ostseitig vorbeiziehenden Landesstraße leitet das zweigeschoßige Pflegeheim sanft zum jenseitigen Naturraum mit dem Dorfbiotop Aukanal über. „Die Gemeinschaftsräume sind auf diese ruhige Seite ausgerichtet. Man kann schon beobachten, dass die Bewohner die Tische vor die Fenster schieben, um von dort in die Natur zu schauen“, erzählt Martin Ladinger, Projektleiter bei Cukrowicz Nachbaur Architekten. Eine neue kleine Brücke über den Bach ermöglicht einen Rundgang entlang des renaturierten Bachlaufs und der gestalteten Grünanlagen und ergänzt das Koblacher Fußwegenetz.

Die Grundrisse von Wohnhaus und Pflegeheim folgen einem ähnlichen Prinzip: Alle Einheiten des Wohnhauses sind um ein Atrium angeordnet. Ost- und westseitig vorgelagerte Loggien geben den Bewohnerinnen und Bewohnern privaten Außenraum. Das Pflegeheim ist um einen begehbaren Innenhof organisiert, an den Aufenthaltsbereiche und Stützpunkte des Pflegepersonals andocken. Die Bewohnerzimmer umschließen diese Zone und liegen an den Außenfassaden. Geschickt gesetzte Holzfenster ermöglichen – auch vom Bett aus – die Sicht nach draußen. Im Erdgeschoß geht das Foyer über in eine Cafeteria, die sich als Schnittstelle zur Außenwelt sowohl auf den Platz orientiert als auch zum Innenhof hin geöffnet ist. Die natürliche Belichtung über das Atrium und den Hof sowie das stets präsente Eichenholz tragen zu einer hell gestimmten und behaglichen Atmosphäre bei.

Auf allzu große Gemeinschaftsbereiche wurde bewusst verzichtet. Der überwiegend öffentliche Charakter solcher Einrichtungen birgt auch die Gefahr, beliebig, unpersönlich oder gar steril zu wirken. Dies wollten die Architekten vermeiden: „Uns waren unterschiedliche Zonen und Nischen wichtig, die sich die Leute aneignen und in die sie sich auf Wunsch zurückziehen können“, so Ladinger. „Die betagten Menschen sollen in Strukturen integriert werden, die dem angestammten Wohnumfeld ähnlich sind“, erläutert Achim Steinhauser von den Sozialdiensten Götzis. Das Pflegemodell nach Erwin Böhm gilt als großes Vorbild seines Ansatzes. Ein großes Lob für die Architektur kommt schließlich von der Wohnbereichsleiterin: „Die Umgebung ist sehr anregend. Nachdem die Leute am Morgen einen Kaffee getrunken haben, gehen sie einfach selbst auf die Terrasse. So habe ich das noch nie erlebt.“ Demnächst will sie sogar Hühner anschaffen – Tiere, die besonders anregend auf die betagten Bewohner wirken sollen. Einen Heim-Hund haben sie schon.

Die „Häuser der Generationen“ sind ein Lebensraum mit unterschiedlichen Nutzungen, der gut in seine Umgebung eingebettet ist. Raumzonen unterschiedlichen Charakters ermöglichen den Bewohnerinnen und Bewohnern, sich selbstbestimmt ins Private zurückzuziehen oder am sozialen Leben teilzuhaben. Das Projekt ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie wir als Gesellschaft dem wachsenden Anteil an pflegebedürftigen Menschen gerecht werden können.

Daten & Fakten

Objekt Häuser der Generationen, Koblach
Bauherr VOGEWOSI Vbg. gemeinnützige Wohnungsbau- und SiedlungsgmbH
Architektur cukrowicz nachbaur architekten zt, Bregenz, www.cn-architekten.com
Betreiber Sozialdienste Götzis GmbH
Statik ssd Beratende Ingenieure, Röthis
Landschaftsplanung Cukrowicz Landschaften, Winterthur
Fachplaner: Fachplaner: Heizung, Lüftung, Sanitär: GMI, Dornbirn; Bauphysik: Lothar Künz, Hard; Brandschutz: K&M, Lochau; Elektro: ekplan, Nenzing; Küchen: zeitbewusst, Dornbirn; Geotechnik: 3P, Bregenz; Hydrologie: Breuß Mähr, Koblach; Ökologische Bauaufsicht: Gebhard Bertsch, Ludesch; Vermessung: Dobler, Lorüns
Wettbewerb 2013
Ausführung 1/2015–12/2016
Nutzflächen 9370 m2
Bauweise: Bauweise: Ziegel 25 cm, Mineralwolle 20 cm, Mineralputz 2 cm; Wandverkleidungen und Einbauten geölte Eiche; Böden: Monofinish, geschliffener Estrich und Parkett
Ausführung: Ausführung: Baumeister: Hilti & Jehle, Feldkirch; Zimmerer: Mayer Holzbau, Götzis; Heizung, Sanitär: Dorfinstallateur, Götzis; Lüftung: Kranz, Weiler; Verputz: FarbenKobold, Röthis; Möbel: Lenz Nenning, Dornbirn und Längle Hagspiel, Höchst; Tischler: René Bechtold, Weiler; Fenster, Türen: Tiefenthaler, Ludesch; Spengler: Carl Günther, Kematen; Schlosser: Wolf Metall, Weiler; Verglasung: Glasteam, Dornbirn; Estrich: Küng Bau, Thüringen; Trockenbau: FORMART, Lauterach; Fliesen: BWI-Keramik Böhler & Dür, Hörbranz; Garten: alex.gartenbau, Koblach
Energiekennwert 13–17 kWh/m2 im Jahr (Heizwärmebedarf)
Baukosten 10,6 Mill. Euro

Leben & Wohnen – Immobilienbeilage der VN

Für den Inhalt verantwortlich:
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