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Bregenzer Festspiele begaben sich erfolgreich in die Fänge der "Lulu"

Neuwirths Berg-Adaption "American Lulu" bei Österreich-Premiere in Bregenz freundlich aufgenommen.
Neuwirths Berg-Adaption "American Lulu" bei Österreich-Premiere in Bregenz freundlich aufgenommen. ©VOL.AT/Philipp Steurer
Vor ausverkauftem Haus ging am Freitagabend im Bregenzer Festspielhaus die österreichische Erstaufführung von Olga Neuwirths "American Lulu" in einer Inszenierung von John Fulljames über die Bühne.
"American Lulu": Fotoprobe

Die renommierte österreichische Komponistin wagte sich mit Erfolg an eine Bearbeitung von Alban Bergs unvollendetem Werk. Das Publikum nahm die Oper, die im September 2012 ihre von einem Urheberrechtsstreit begleitete Uraufführung an der Komischen Oper Berlin feierte, mit wohlwollendem Applaus auf, vereinzelt waren Bravo-Rufe zu hören.

Männermörderin und Verführerin

Lulu ist eine der zentralen Frauenfiguren der modernen Kunst: Femme fatale, Männermörderin, Verführerin, mit der sich bereits viele Künstler auseinandersetzten. Aus Frank Wedekinds Stück von 1913 entstand Bergs Oper, die 1937 postum uraufgeführt wurde, 1979 vervollständigt von Friedrich Cerha. Nun hat sich auch Olga Neuwirth an das Werk gewagt. “Eigentlich sollte man es nicht angreifen, ich hab es trotzdem getan”, so die Komponistin über das “Opernmeisterwerk des 20. Jahrhunderts” bei der Werkeinführung vor der Österreich-Premiere in Bregenz.

Edelhure der New Yorker Banker

Neuwirth erklärte, sie habe das Ende gereizt, bei dem Lulu kurzerhand von Jack the Ripper abgeschlachtet wird. “Zu einfach, zu absolut”, so die Künstlerin, zudem störte sie sich an dem männlichen Blick auf die weibliche Hauptfigur. Sanft ist Neuwirth bei der Umarbeitung nicht vorgegangen, vielmehr radikal: Sie adaptierte Musik und Text des ersten und zweiten Aktes, orchestrierte das Stück neu für ein Jazzorchester und schrieb einen neuen dritten Akt, in dem Lulu zur Edelhure der New Yorker Banker aufsteigt.

Vor allem aber wurden die Hauptpersonen bei ihr zu Afroamerikanern, deren Geschichte in den 1950er und 1970er-Jahren vor dem Hintergrund der Bürgerrechtsbewegung erzählt wird, für die Komponistin “eine Verschärfung der Situation”. Dementsprechend wird auf Englisch gesungen. Angeregt wurde sie dazu durch Otto Premingers Film “Carmen Jones” von 1954, der das Original ebenfalls amerikanisierte. Neuwirths Adaption schlägt jedenfalls ein neues Kapitel in der Interpretation der Lulu auf.

“Ich hasse es, allein zu sein”

Ihre dunkelhäutige Lulu, überzeugend gespielt und gesungen von Angel Blue, ist keine männerfressende Urgewalt mehr. Schon als Kind missbraucht, ist sie sich ihrer selbst sehr bewusst, weiß ihre Reize zur Manipulation anderer einzusetzen, wird aber auch selbst gequält. Unfähig zu lieben findet sie nur darin Bestätigung, geliebt zu werden. Selbst wenn ihre Männer durch ihr direktes oder indirektes Zutun sterben, bringt sie kein Mitgefühl auf. “Es ist schrecklich, ich hasse es allein zu sein”, so Lulu beim Tod des mit ihr verheirateten Malers (Paul Curievici).

Clarence (im Original Schigolch), ein Landstreicher, der vermutlich Lulus Vater ist, scheint durch das gelungene Spiel Robert Winslade Andersons nahezu einer rassistischen Karikatur der damaligen Zeit entsprungen zu sein. Mit kraftvollen Stimmen beeindruckten Donald Maxwell als Lulus sexuell höriger Liebhaber Dr. Bloom (Dr. Schön) und Jonathan Stoughton als blindverliebter Jimmy (Dr. Schöns Sohn Alwa). Einen überaus starken Kontrast bildete stimmlich Jacqui Dankworth als Bluessängerin und lesbische Freundin Eleanor (Gräfin Geschwitz), der es als Einziger gelingt, sich von der zerstörerischen Lulu zu emanzipieren. Solide zeigten sich Simon Wilding, dessen Athlet als komische Figur angelegt war, und Paul Reeves (Professor/ Banker/ Polizeipräsident).

Neuwirths Bearbeitung der beiden Berg-Akte gleicht einer Übermalung, durch die das Original, wenn auch in völlig anderer Klangfarbe, durchscheint. In ihrem dritten Akt entwickelt sie dann ihre eigene Klangwelt, hervorragend hörbar in dem “Zickenkrieg” zwischen den beiden Frauenfiguren, wo sich die Stile auf hochinteressante Weise mischen. Neben den bei Berg bereits angelegten Jazz-Elementen, die Neuwirth ausbaute – Clarence ist im dritten Akt beispielsweise Ragtime-Musik zugeordnet, nahm die Komponistin auch Anleihen an Filmmusik. So gibt es etwa Zuspielungen einer Kinoorgel, überhaupt fühlt man sich zeitweise musikalisch in Low-Budget-Filme versetzt – eine Anspielung auf die von Sex und Gewalt geprägte Lulu-Rezeption im Kino. Wie aus einem Film mutet dann auch das Ende der “American Lulu” an, als die Protagonistin blutüberströmt hinter dem Fadenvorhang hervorwankt, tödlich verletzt von einem Unbekannten.

Anders als die Berliner Uraufführungsinszenierung, bei der man auf der Bühne auf monochrome Farbtöne setzte, spielt sich in John Fulljames’ Deutung alles auf einer katzengoldglänzenden, halbrunden Bühne ab, dahinter auf Stufen und stets sichtbar rund 30 Musiker des “The Orchestra of Scottish Opera” unter der Leitung von Gerry Cornelius. Ein Fadenvorhang (Ausstattung: Magda Willi), in dem sich die Protagonisten verhedderten wie in Lulus Netzen, dient als Projektionsleinwand, um dem Publikum die Zeitsprünge zu verdeutlichen (Video: Finn Ross, Licht: Guy Hoare).

Eingespielte Auszüge aus King-Reden

Während die Texte der amerikanischen Aktivistin June Jordan als akustische Einspielung (Sounddesign: Carolyn Downing) die Erinnerung daran wachhalten, dass Lulu immer auch Opfer von Missbrauch und Unterdrückung ist, war vom behaupteten Bürgerrechtshintergrund wenig zu spüren. Dementsprechend irritierten die eingespielten Auszüge aus Reden von Martin Luther King über Rassentrennung und Freiheit eher, es sei denn, man will ihnen eine Funktion als verbaler Vorhang zugestehen.

“American Lulu” von Olga Neuwirth nach Alban Berg. Auftragswerk von The Opera Group und Komische Oper Berlin, ein Koproduktion mit The Opera Group, Scottish Opera und The Young Vic in Zusammenarbeit mit der London Sinfonietta. Mit u.a. Angel Blue, Jacqui Dankworth, Donald Maxwell, Robert Winslade Anderson, Jonathan Stoughton; Regie: John Fulljames; Musikalische Leitung: Gerry Cornelius, Ausstattung: Magda Willi, Licht: Guy Hoare, Video: Finn Ross, Sounddesign: Carolyn Downing. Werkstattbühne Bregenzer Festspielhaus. Weitere Aufführung: 17. August 2013, 20.00 Uhr. Informationen im Internet unter www.bregenzerfestspiele.com

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