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"Repressive Maßnahmen" - Kirchen und DOWAS mit harscher Kritik an Bregenz-Bettelverbot!

Offener Brief an die Bregenzer Stadtvertretung.
Offener Brief an die Bregenzer Stadtvertretung. ©VOL.AT/Paulitsch
Bregenz - In einem gemeinsam unterzeichneten Brief kritisieren der evangelische Pfarrer Ralf Stoffers, der katholische Pfarrer Edwin Matt sowie Dowas-Geschäftsführer Michael Diettrich das temporale und sektorale Bettelverbot in Bregenz. Die Rede ist von "Repression gegen Notleidende" und "Stigmatisierung" von armutsbetroffenen.
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Die katholische und evangelische Kirche sowie DOWAS üben deutliche Kritik am von der Bregenzer Stadtvertretung beschlossenen “temporären und sektoralen Bettelverbot”. Gegen den “Versuch, durch den Aufbau von Bedrohungsszenarien Bettelverbote und weitere repressive Maßnahmen gegen Notreisende (insbesondere aus der Volksgruppe der Sinti und Roma) zu rechtfertigen” halte man fest, dass bettelnde Menschen Bürger und Träger von Grund- und Menschenrechten seien. Als Beispiele werden hierbei das Recht auf Mobilität, freie Wahl des Aufenthaltsortes sowie die freie Meinungsäußerung genannt. Diese Rechte dürften weder “temporär” noch “sektoral” vorenthalten werden.

“Armutsbetroffene Menschen werden stigmatisiert”

Zudem kritisieren die Unterzeichner, dass “armutsbetroffene Menschen” mittels “vorurteilsbehafteter Vorwürfe” – aufgezählt werden hierbei exemplarisch die Begriffe “Bettelmafia”, “organisierte Bettelbanden” und “Geschäftsmodell” – stigmatisiert würden. Nicht bettelnde Menschen würden aber durch ihre Tätigkeit das Gemeinschaftsleben stören, sondern vielmehr “die Strukturen, die soziale Ausgrenzung bedingen, wie auch die Art und Weise, die von verantwortlicher Seite mit Personen, die auf Almosen angewiesen sind, in Wort und Tat umgegangen wird!”

Auch wendet man sich gegen den “Versuch, Notreisende als Gefährdung der ‘Sicherheit der Bevölkerung’ und des ‘ungestörten Aufenthalts an öffentlichen Orten'” zu charakterisieren. Armut würde einen unerträglichen Zustand darstellen, der für die ganze Gesellschaft Nachteile bringe und “von allen gemeinsam überwunden werden muss.” Solange dies nicht umgesetzt sei, würden bettelnde Personen daran erinnern, dass der Wohlstand ungleich verteilt sei. Solange Armut bestehe, müsse sie auch im Ausdruck des Bettelns sichtbar bleiben dürfen, so die Unterzeichner.

“Gesamt-gesellschaftlicher Lernprozess”

Unterstützt werde der Ansatz, die Lage der “betroffenen Notreisenden in ihren Heimatländern zu verbessern”. Solange dies nicht in ausreichendem Maß geschehe, “werden wir uns der Situation hier vor Ort stellen, und den Umgang mit von Armut betroffenen Notreisenden einüben müssen”. Nicht verschwiegen werden dürfe, dass es dabei zu Konflikten gekommen sei – und auch in Zukunft kommen werde. Hier sei die Frage der Unterbringung und des Bettelns wichtig. Konfliktpotenzial mit der einheimischen Bevölkerung gelte es jedenfalls zu reduzieren.

“Wir verstehen die momentane Situation aber als einen gesamt-gesellschaftlichen Lernprozess, in dem es für die eine Seite um das Einüben in Regelentwicklung und -einhaltung geht, während die andere Seite lernen muss, dass diese Frage nicht mit Verboten und Verdrängungsstrategien gelöst werden kann”, so die Unterzeichner abschließend.

Der offene Brief im Wortlaut:

„DIE ARMEN SOLLST DU NICHT BEDRÄNGEN!“

Offener Brief an die Bregenzer Stadtvertretung anlässlich des am 1. Dezember 2015 beschlossenen „temporären und sektoralen Bettelverbots“

Sehr geehrte Mitglieder der Bregenzer Stadtvertretung!

Wir, die nachstehenden Unterzeichner, nehmen bezüglich des von Ihnen in der Sitzung vom 1. Dezember 2015 beschlossenen „temporären und sektoralen Bettelverbots“ wie folgt Stellung:

1. Gegen den Versuch, durch den Aufbau von Bedrohungsszenarien Bettelverbote und weitere repressive Maßnahmen gegen Notreisende (insbesondere aus der Volksgruppe der Sinti und Roma) zu rechtfertigen, die Betroffenen dadurch aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen und ihre Armut unsichtbar zu machen, halten wir fest:

Bettelnde Menschen sind BürgerInnen und TrägerInnen von Grund- und Menschen-rechten (u.a. Recht auf Mobilität, freie Wahl des Aufenthaltsortes, freie Meinungsäuße-rung), die ihnen weder „temporär“ noch „sektoral“ vorenthalten werden dürfen!

2. Gegen den Versuch, armutsbetroffene Menschen in der Öffentlichkeit mittels vorurteils-behafteter Vorwürfe wie ‚Bettelmafia‘, ‚organisierte Bettelbanden‘, ‚Geschäftsmodell‘ u.ä. zu stigmatisieren, halten wir fest:

Nicht bettelnde Menschen stören durch ihre Tätigkeit das Gemeinschaftsleben, sondern die Strukturen, die soziale Ausgrenzung bedingen, wie auch die Art und Weise, wie von verantwortlicher Seite (auch in Politik und Wirtschaft) mit Personen, die auf Almosen angewiesen sind, in Wort und Tat umgegangen wird!

3. Gegen den Versuch, Notreisende als Gefährdung der „Sicherheit der Bevölkerung“ und des „ungestörten Aufenthalts an öffentlichen Orten“ zu charakterisieren, halten wir fest:

Armut stellt einen unerträglichen Zustand dar, der für die ganze Gesellschaft Nachteile bringt und von allen gemeinsam überwunden werden muss. Solang dies nicht umgesetzt ist, erinnern bettelnde Personen daran, dass der Wohlstand ungleich verteilt ist. Am Umgang mit von Armut betroffenen Menschen lassen sich gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Vorgänge beurteilen. Maßnahmen und Entscheidungen sind daran zu messen, welche Folgen sie für die Betroffenen haben. Solange Armut besteht, muss sie auch im Ausdruck des Bettelns sichtbar bleiben dürfen!

Wir unterstützen den Ansatz, die Lage der betroffenen Notreisenden in ihren Heimatländern zu ver-bessern. Solange das aber nicht in ausreichendem Maße geschieht bzw. umgesetzt worden ist, werden wir uns der Situation hier vor Ort stellen und in den Umgang mit von Armut betroffenen Notreisenden einüben müssen. Dass es dabei zu Konflikten gekommen ist, kommt und auch in Zukunft kommen wird, kann und darf nicht verschwiegen werden. Um diese Konflikte zu reduzieren, halten wir es z.B. im Blick auf die Frage der Unterbringung und des Bettelns für wichtig, Möglichkeiten zu schaffen, die die Sorgen der einheimischen Bevölkerung ernstnehmen und etwaiges Konfliktpotential reduzieren.

Wir verstehen die momentane Situation aber als einen gesamt-gesellschaftlichen Lernprozess, in dem es für die eine Seite um das Einüben in Regelentwicklung und -einhaltung geht, während die andere Seite lernen muss, dass diese Frage nicht mit Verboten und Verdrängungsstrategien gelöst werden kann.

Bregenz am 17. Dezember 2015

Pfr. Mag. Ralf STOFFERS, Evang. Pfarrgemeinde A.u.H.B. – Pfr. Mag. Edwin MATT, Seelsorgeraum der Katholischen Kirche – Michael DIETTRICH, Geschäftsführer DOWAS

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