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Vom Umgang mit der jihadistischen Radikalisierung

Thomas Schmidinger bei seinem gut besuchten Vortrag in der Aula des Gymnasium Bludenz.
Thomas Schmidinger bei seinem gut besuchten Vortrag in der Aula des Gymnasium Bludenz. ©JW
Bludenz. (jw) Im Interview mit der VN-Heimat sprach Thomas Schmidinger über den Reiz von radikalen Gruppen für europäische Jugendliche, den Irrglauben, dass mehr Überwachung auch mehr Sicherheit bedeutet und die neuen Herausforderungen vor den Europa in Zukunft stehen wird.
Vortrag „Jihadismus, IS und der Krieg im Nahen Osten“

VN: Wo sehen Sie in Bezug auf Jihadismus und IS die zukünftigen Herausforderungen für Europa?

Thomas Schmidinger: Jihadistische Gruppierungen profitieren vom antimuslimischen Hass, der sich in einer Reihe von europäischen Staaten, darunter auch Österreich, zunehmend ausbreitet. Der Hass auf Muslime ist kein Randphänomen mehr. Wenn es antimuslimischen Rechtsextremisten und Jihadisten gelingt die europäischen Gesellschaften in einen Bürgerkrieg zu hetzen, dann haben wir noch ein viel größeres Problem als nur die bisherigen Anschläge.

VN: Stichwort Überwachung: Besitzt die Gleichung „mehr Schutzmaßnahmen = mehr Sicherheit“ auch in Österreich Gültigkeit?

Thomas Schmidinger: Nein, denn abgesehen von der Grundrechtsproblematik bringt das wahllose Sammeln von Informationen keine höhere Sicherheit. Was höhere Sicherheit brächte wären besser ausgebildete Polizeikräfte, klassische human intelligence und Ansätze des Community Policing, also eine Zusammenarbeit der Polizei mit verschiedenen Communities und Milieus, die auch auf einer stärkeren Beteiligung von Polizistinnen und Polizisten mit entsprechenden Sprachkenntnissen und aus islamischen Communities basiert. Und dann darf man natürlich auch nicht den Bereich der Prävention und Deradikalisierung vergessen, der in Österreich immer noch stark vernachlässigt wird.

VN: Was macht Ihrer Meinung nach den IS auch für europäische Militante interessant?

Thomas Schmidinger: Der IS hat es 2014 mit seiner Expansion und der Ausrufung eines Khalifats geschafft, sich als real existierende utopische Alternative zur liberal-kapitalistischen Weltordnung zu inszenieren. Dass dieses Angebot so attraktiv ist, hat auch mit der Schwäche anderer, humanistischer Alternativen, etwa aus der Linken, zu tun und damit, dass uns die letzten zwanzig Jahre eingeredet wurde, dass es keine Alternative zur bestehenden liberal-kapitalistischen Weltordnung gäbe und wir am „Ende der Geschichte“ angelangt wären. Für Jugendliche und junge Erwachsene, die sich dieser Gesellschaft entfremdet fühlen und auf der Suche nach einer radikalen Alternative sind, ist das ein attraktives Angebot.

VN: Wie bewerten Sie hier die Situation der IS-Rückkehrer?

Thomas Schmidinger: Viele zweifeln und man könnte mit ihnen in Richtung Deradikalisierung arbeiten. Genau das müsste man allerdings tun, denn die Gründe, die sie in die Arme der Jihadisten getrieben haben, sind ja genauso weiterhin vorhanden, wie zumindest Teile ihrer Ideologie. Es macht auch nicht besonders viel Sinn die Leute einzusperren oder ihnen, wenn es sich z.B. um tschetschenische Flüchtlinge handelt, das Asyl abzuerkennen, sie aber trotzdem nicht abzuschieben. Damit erzeugt man nur noch mehr Entfremdung und verunmöglicht eine Rückkehr in die Gesellschaft.

VN: Mit den Anschlägen von Paris und Brüssel ist der Terror nun auch in Europa angekommen. Wie sehen Sie hier die zukünftige Entwicklung?

Thomas Schmidinger: Das werden nicht die letzten Anschläge gewesen sein. Jihadistische Anschläge werden auch in weiteren europäischen Metropolen stattfinden und auch wenn der IS durch militärische Rückschläge heute etwas weniger attraktiv geworden ist, so könnte durchaus die alte al-Qaida wieder attraktiver werden.

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