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"Bin auch kein Ab­s­ti­nenz­ler"

Zitat Dr. Reinhard Haller: Mein Wunschpatient wäre Adolf Hitler, vor er so mächtig war. Ich denke, ihn hätte man psychiatrisch entschärfen können – ohne größenwahnsinnig zu klingen.
Zitat Dr. Reinhard Haller: Mein Wunschpatient wäre Adolf Hitler, vor er so mächtig war. Ich denke, ihn hätte man psychiatrisch entschärfen können – ohne größenwahnsinnig zu klingen. ©MiK
Primar Dr. Reinhard Haller nahm für WANN & WO auf der „Couch“ Platz und sprach über seine Raucher-Karriere, Terror und Vorbilder.

WANN & WO: Wollten Sie schon immer Psychiater werden?

Reinhard Haller: Lange wollte ich Priester werden, Papst um es genau zu nehmen (lacht). Auch Jurist kam in Frage. Vor der Matura hatte ich eine Zeit lang den Wunsch, Germanist zu werden. Deshalb bin ich Psychiater geworden, das vereint alle drei Berufe ziemlich gut.

WANN & WO: Wie war Ihr ­schulischer Werdegang?

Reinhard Haller: Damals war das alles nicht so einfach. Wer eine höhere Schule besuchen wollte, musste eine halbe Weltreise – in diesem Fall zum Marianum in Bregenz – auf sich nehmen. Heute ist man vermutlich schneller in New York, als zu dieser Zeit von Mellau nach Bregenz mit all den Wartezeiten. Die Jahre im Marianum waren nicht immer einfach. Mit zehn Jahren weg vom behüteten Zuhause, kein Telefon, nur drei Mal im Jahr konnte man heim – ein Kulturschock im Prinzip. Trotzdem habe ich viel gelernt.

WANN & WO: Sie scheinen immer sehr besonnen und überlegt zu handeln. Gibt es trotzdem etwas, das Sie „varruckt“ macht?

Reinhard Haller: Ich bin in der Tat ein ruhiger, schüchterner und zurückhaltender Mensch – und harmoniebedürftig, ich bin Waage. Trotzdem kann auch ich ungeduldig werden. Was ich nicht mag, sind lange Besprechungen, bei denen schon alles gesagt ist – nur nicht von allen.

WANN & WO: Sie beschreiben sich selbst als schüchtern. Fällt es Ihnen schwer, neue Kontakte zu knüpfen?

Reinhard Haller: Ja, eher schon. Jetzt im Alter hat sich das etwas gemildert. Ich gehe auf die Menschen mit Neugier zu.

WANN & WO: Gibt es etwas, das sie überhaupt nicht können?

Reinhard Haller: Ich bin ein begnadet schlechter Tänzer.

WANN & WO: Gibt es Persönlichkeiten, die Sie besonders beeindrucken?

Reinhard Haller: Jetzt aktuell ist das Papst Franziskus. Er hat sich, genau wie ich, intensiv mit dem Narzissmus beschäftigt, außerdem ist er Argentinier – ich mag das Land sehr gerne.

WANN & WO: Heißt das also, Sie sind ein religiöser Mensch?

Reinhard Haller: Ja definitiv. Auch wenn ich mit der Amtskirche so meine Differenzen habe.

WANN & WO: Stichwort Sucht: Haben Sie jemals geraucht?

Reinhard Haller: Im Militär für kurze Zeit. Ich war in Absam im Tirol stationiert. Zu Heilig Abend durften alle nach Hause. Mit mir ist man leider in die andere Richtung gefahren (lacht). Ich kam in St. Johann an und war wahnsinnig einsam, dort habe ich angefangen zu rauchen – aber immer nur geschnorrt. Eines Tages habe ich mir an einem wahnsinnig kalten Wintertag eine Schachtel Marlboro gekauft. Ich lief der Kitzbühler Ache entlang und habe die volle Packung in den Bach geschmissen. Das war meine „Raucher-Karriere“.

WANN & WO: Haben Sie auch schon einen Joint geraucht?

Reinhard Haller: Diese Frage beantworte ich nie, weil ich nur falsch liegen kann. Wenn ich sie bejahen würde, hätte ich mich straffällig gemacht und mit der Justiz angelegt. Wenn ich sie mit nein beantworte, sagt jeder, der Mann hat keine Ahnung. Unabhängig davon glaube ich, man kann ein guter Sucht-Therapeut sein, ohne selbst süchtig gewesen zu sein. Ein Psychiater muss auch nicht selbst verrückt sein, um Erfolg zu haben (lacht).

WANN & WO: Können Sie den Analytiker in der Freizeit abstellen?

Reinhard Haller: Mein Beruf ist das Einschätzen und Analysieren von Menschen, das nimmt man auch mit nach Hause. Ich bemühe mich trotzdem, die Menschen nicht in Krankenkategorien einzuordnen.

WANN & WO: Finden Sie dann Halt in der Familie? Welche Rolle spielt Ihre Familie allgemein?

Reinhard Haller: Die Familie ist die echte, einfache Wahrheit, der höhere Sinn. Es ist ein riesiges Glück eine intakte Partnerschaft zu haben und Kinder, die ihren
Weg gehen.

WANN & WO: Wie sind die Erinnerungen an Ihre eigene Kindheit?

Reinhard Haller: Wir waren arm, sehr arm. Aber trotzdem war meine Kindheit froh und unbeschwert. Eine sonnige Mutter und ein liebevoller Vater.

WANN & WO: Begegnen Ihnen die Menschen mit Vorsicht?

Reinhard Haller: Ja, ich werde oft nicht eingeladen – oder sogar ausgeladen, weil viele glauben: „Jetzt darf ich nicht Rauchen oder Trinken, wenn der Haller da ist.“ Ich bin ja auch kein Ab­s­ti­nenz­ler, ich vertrage den Alkohol nur nicht.

WANN & WO: Gibt es jemanden, den Sie gerne auf Ihrer Couch sitzen hätten?

Reinhard Haller: Mein Wunschpatient wäre Adolf Hitler, bevor er so mächtig war. Ich denke, ihn hätte man psychiatrisch entschärfen können – ohne größenwahnsinnig zu klingen.

WANN & WO: Wie würde eine Psycho-Analyse über Sie aussehen?

Reinhard Haller: Ein in die Jahre gekommener Vorzugschüler-Typ.

WANN & WO: Was war Ihr schwierigster Fall?

Reinhard Haller: Franz Fuchs. Das Bombenhirn war ein einzigartiger Mensch: höchst intelligent, zutiefst gekränkt. Er benötigte nur eine Person, um alle Rollen in einem Verbrechen zu „besetzen“ – ihn selbst. Von der Planung des Verbrechens über die Herstellung der Bomben bis hin zur eigenen Verfolgung, Bestrafung und letzten Endes der Suizid. So knallhart wie das klingt. Der Fall beschäftigt mich heute noch.

WANN & WO: Können Sie in solchen Fällen die Emotionen außen vor lassen?

Reinhard Haller: Nein, das kann niemand. Am schlimmsten sind Kindesmörder. Sofort projiziert man auf die eigene Familie. Trotzdem muss man allen auf Augenhöhe begegnen.

WANN & WO: Den Blick nach Paris gewandt: Was spielt sich bei solchen Attentätern im Kopf ab?

Reinhard Haller: Gruppenattentäter sind in erster Linie enttäuschte, frustrierte Menschen. Mit dieser Kränkung wollen sie fertig werden. Das ist immer ein Kampf mit ungleichen Mitteln: mit Maschinengewehren auf völlig Unschuldige. Umgekehrt fühlen sie sich von einem übermächtigen Gegner nieder gemacht. Innerlich haben sie das Gefühl: Ich bin bedroht, ich muss mich wehren, man könnte schon fast sagen Notwehr. Wenn solche Aktionen dann weltweit für so großes Aufsehen sorgen, kommt der narzisstische Größenwahn dazu. Nach dem Motto: Ich bin der Herr über Leben und Tod. Selbstmordattentäter, wie jene in Paris, unterliegen natürlich noch einer zusätzlichen Indoktrinierung, einer Gehirnwäsche. Es wird ihnen eingetrichtert: Du bist der Auserwählte, du darfst ein Selbstmordattentat machen, eine Auszeichnung – wieder ein narzisstisches Gefühl.

WANN & WO: Sie tendieren zur Theorie, dass jeder Mensch böse geboren wird und das Böse auswächst – oder eben nicht. Wann ist das bei Ihnen geschehen?

Reinhard Haller: Entscheidend ist in den ersten Lebensjahren eine stabile, emotionale Versorgung, wie ich es erfahren habe. Und auch eine angemessene Umgebung – Mellau.

WANN & WO: Sie wurden vor wenigen Jahren verklagt. Wie gehen Sie mit Kritik aus der Öffentlichkeit um?

Reinhard Haller: Das ist natürlich sehr belastend und unangenehm. Es hat sich um existenzbedrohende Summen gehandelt. Ich wusste aber, dass ich keine Fehler gemacht habe. Außerdem wurden die Gutachten von Experten analysiert und als korrekt bestätigt. Dass so etwas verletzend und kränkend ist, steht außer Frage.

WANN & WO: Stehen Sie gerne in der Öffentlichkeit?

Reinhard Haller: Das wird mir oft vorgeworfen. Ich habe mich nie in die Medien gedrängt, aber ich gebe jedem, der etwas von mir wissen will, Auskunft. Im Zusammenhang mit Sucht- und Kriminalfällen denke ich, ein kompetenter Ansprechpartner zu sein. Ich habe immerhin schon mehr als zwei Jahre meines Lebens allein mit Mördern, Sexualtätern, Verbrechern in Isolationshaft verbracht – nur wenn man die Stunden der Gespräche aneinander reiht.

 

Dr. Reinhard Haller im Wordrap

Siegmund Freud: einer der größten Denker der ­Menschheit Mellau: Heimatgemeinde, die ich sehr liebe Frastanz: blühende Gemeinde Das Böse: jeder weiß, was man damit meint, keiner kann es beschreiben Triebtäter: ganz kleine, aber sehr gefährliche Gruppe Moral: etwas vom Schwierigsten überhaupt

Zur Person

  • Name: Primar Dr. Reinhard Haller
  • Jahrgang: 1951
  • Wohnort: Tisis
  • Beruf: Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe
  • Familie: verheiratet, drei Kinder

Gerichtsgutachten

  • Jack Unterweger
  • „Bombenhirn“ Franz Fuchs
  • NS-Euthanasie-Arzt Heinrich Gross
  • NS-Kriegsverbrecher Milivoj Ašner
  • Amokläufer von Winnenden

Über die Wurzeln des Destruktiven

In Hallers neuestem Werk „Die Macht der Kränkung“ veranschaulicht er Anhand von Beispielen, welche Macht Kränkungen über uns ausüben können, und wie es gelingen kann, an seelischen Verletzungen nicht nur zu wachsen, sondern auch die Persönlichkeit zu stärken.

(WANN & WO)

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