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Begegnung in der Mitte

©Darko Todorovic
Die Stadt Bregenz hat mit dem Kornmarktplatz endlich ihre Mitte gefunden, doch ohne die von allen Seiten ernst gemeinte Bürgerbeteiligung wäre das Identität stiftende Endergebnis nie möglich gewesen.
Begegnung in der Mitte

Man hätte es sich einfach machen und eine sauber durchgezogene Fußgängerzone projektieren können. Es entstand jedoch der Kornmarktplatz – in Funktionen und Erlebnissen vielfältig, für die Stadtstruktur notwendig und bereichernd. Das wohltuende Kontinuum des hellen Asphaltbodens fasst den langen Straßenzug in einem Guss zusammen. Eine große Geste und wohl die richtige Lösung für die heterogene begleitende Bebauung. Auf der einen Seite eine geschlossene Häuserzeile mit zum Teil jahrhundertealten, dann wieder modernen Fassaden, die dadurch ein neues, geordnetes Aussehen bekommt, auf der anderen Seite die Kulturhausmeile mit den selbstbewussten Solitären.

Betrachtet man eine Postkarte aus dem Jahr 1906, so hat der neue Kornmarkt eigentlich viel mit dem alten zu tun und macht die Zeit dazwischen vergessen. Damals wurde das städtische Schlachthaus durch das repräsentative Landesmuseum ersetzt, das 1840 erbaute Kornhaus erkennt man heute als Vorarlberger Landestheater wieder, zu dem es 1955 wurde. Der Platz davor – durchgehend und großzügig. Doch Bregenz veränderte sich gravierend. Ab den 1970er-Jahren zerschnitt schließlich eine dreispurige Ausfallstraße den Kornmarktplatz und vor dem Landesmuseum, das in den 50er-Jahren um die prächtige Fassade bereinigt und aufgestockt wurde, lag ein Parkplatz, beschirmt von großen Platanen.Das Kunsthaus wurde vor zwanzig Jahren eingefügt und schon damals gab es konkrete Bemühungen zur Neugestaltung des Kornmarktplatzes. Zwei Wettbewerbe blieben vergeblich. Erst mit dem Bau des neuen Landesmuseums war die Zeit reif für den Platz, der die Mitte von Bregenz definiert. Doch dass es ohne Einbeziehung der Leute vor Ort keine Akzeptanz und Lösungen gibt, hatte man in Bregenz schon bei anderen Projekten gelernt.

Man legte also einen ausführlichen, gut moderierten Bürgerbeteiligungsprozess an, offen für alle, die sich dafür interessierten. Wichtige Voraussetzung für das gute Gelingen war die genaue Definition der Rollen: Die Bürger(innen) konnten sich mit ihren Vorstellungen und Bedürfnissen einbringen, die Bauherrschaft saß mit Vertretern von Bauamt und Politik am Tisch und um die Ideen gestalterisch umzusetzen, war ein Architektenteam von Anfang an dabei. Zudem bauchte es auch den Landschaftsarchitekten im Expertenkreis.

„Der Kornmarktplatz ist ein ganz wichtiger zentraler öffentlicher Raum in Bregenz, der seine ursprünglich zugedachte Funktion in der Stadtstruktur wiedererlangt hat. Er orientiert sich eindeutig zur Stadt und nicht zum See und wird damit zur Mitte“, stellt einer der beteiligten Architekten, Helmut Kuëss, fest.

Das verbindende Gestaltungselement ist der helle, veredelte Asphaltbelag. Die Zonierung und Leitung der Bewegungsströme erfolgt durch verschiedenartige ovale grüne Inseln. Einerseits die größeren begehbaren Rondelle mit farblich angepasstem Kies als Grund, wegen der notwendigen Wasserdurchlässigkeit, und den langen Bänken, die sich einladend um die mächtigen Platanen sowie Baumneupflanzungen schwingen. Ganz genau wird hier auf die Verästelungen geachtet, um die Freiraumelemente durchgängig zu halten. Kleinere ovale Grüninseln sind andererseits undurchdringbar. Sie lenken unmerklich die Fußgängerströme und bieten im abgestimmten Spiel von Blüten-, Blatt- und Herbstfärbungen besondere Erlebnisse und Atmosphäre.

Ganz autofrei ging es im Endeffekt doch nicht ab, also hält man sich mit den Parkplätzen im Bereich der Post im Hintergrund. Startet man von dieser Seite ist offensichtlich, wie gut das Konzept des flächendeckend ausgegossenen Belags funktioniert: der barocke Rundbau der Nepumukkapelle ist undramatisch freigestellt, wird damit zum sichtbaren Juwel und markiert den Anfang. Weiter geht es der Kulturmeile mit den charaktervollen Solitären entlang, bis der helle Platz über die Straße, die zum See führt, ausufert. Auch hier passiert etwas für alle Nachvollziehbares. Die Achtsamkeit in der Begegnungszone muss nicht auf Gebotstafeln eingefordert werden, es spüren durch den Straßenbelag alle Verkehrsteilnehmer, wie sie sich zu verhalten haben, als gäbe die Farbe die Verlangsamung vor und auch die akustische Dämpfung.

Der Kornmarkt lässt also die alltäglichen Wege erlebnisreich werden, ist Vorbereich der Kulturhäuser sowie Marktplatz und Stadtentree. Doch die wichtigste Funktion als Ort der Begegnung muss noch hervorgehoben werden: nämlich die als abwechslungsreiche Freiluft-Gaststube. Ein Lokal nach dem anderen reiht sich gut geordnet, was Sonnenschirme und Gastbereich betrifft, und doch individuell in Angebot und Ausstrahlung zu beiden Seiten des Platzes auf. So lässt es sich in Bregenz leben.

Daten & Fakten

Projekt Kornmarktplatz Bregenz
Bauherr Stadt Bregenz
Landschaftsarchitektur Vogt Landschaftsarchitekten Zürich
Architektur ArGe Baumschlager Hutter Partners (Carlo Baumschlager, Jesco Hutter), Hörburger-Kuëss (Gerhard Hörburger, Helmut Kuëss)
Bürgerbeteiligung 2010
Planung 2010
Ausführung 2013
Fläche 9000 m²
Grüninseln: Bestand an Platanen, ergänzt um Neupflanzungen, Linden, Baumgruppen mit mehrstämmigen Hainbuchen, Gleditschien, Parrotien, Kirschen
Besonderheiten: Verlegt wurden 545 m Entwässerungs-rohre, 1073 m Lichtwellenleiter, 15.450 m Stromkabel, 1180 m Wasser- und Gasleitung, 27 Infrastrukturschächte, 23 Lichtmasten, 1500 m Erdseil (Blitzableiter)
Sonderplaner Entwässerung Rudhardt + Gassner ZT, Bregenz
Baukosten ca. 1,9 Mill. Euro

Leben & Wohnen – Immobilienbeilage der VN

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
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