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Nach Amoklauf in NÖ: Verbrannte Leiche gefunden - Täter vermutlich tot

Stundenlang hielt der mutmaßliche Wilderer Alois H. die Einsatzkräfte in Atem.
Stundenlang hielt der mutmaßliche Wilderer Alois H. die Einsatzkräfte in Atem. ©APA
Ein als Wilderer verdächtigter 55 Jahre alter Transportunternehmer hat in der Nacht auf Dienstag in Niederösterreich drei Polizisten und einen Rotkreuz-Mitarbeiter erschossen. Der Mann verschanzte sich auf einem Bauernhof bei Melk, worauf eine Hundertschaft an Einsatzkräften stundenlang das Gehöft belagerte.
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Grafik: Der Weg des Wilderers
Große Geiselnahmen in Österreich

Ab 18.20 Uhr erfolgte der Zugriff der Einsatzkräfte. Gegen Mitternacht entdeckten die Einsatzkräfte in einem Geheimraum eine stark verbrannte Leiche. Bei dieser dürfte es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um den 55-Jährigen handeln.

Verbrannte Leiche in Geheimversteck entdeckt

Durch begleitende Ermittlungsarbeit während der Durchsuchung des weitläufigen Anwesens hatte die Polizei Kenntnis von dem Versteck erhalten. In einem Gang ließ sich eine Wand wegdrücken, wodurch man in den Geheimraum gelangte. “Die Einsatzkräfte haben die Tür geöffnet und wollten in den Raum eindringen, im Raum selbst hat es aber gebrannt”, so Polizeisprecher Roland Scherscher bei einer Pressekonferenz in Melk. Der zuströmende Sauerstoff hatte die Flammen zusätzlich angefacht. Als das Feuer gelöscht wurde, “konnte eine verbrannte männliche Leiche entdeckt werden”, sagte Scherscher.

DNA-Analyse soll Identität klären

Die stark verbrannte Leiche befand sich laut Polizei in einem “entsprechenden Zustand”. Obwohl es kaum Zweifel gibt, dass es sich dabei um den 55-Jährigen handelt, wurde dadurch die Feststellung der Identität und der Todesursache erschwert. Da der Körper zur Unkenntlichkeit verkohlt sei, könne nur eine DNA-Analyse Klarheit bringen. Dies könne einige Tage dauern. Weitere Suchaktionen nach einem möglicherweise flüchtigen Täter seien nicht geplant.

Großaufgebot der Polizei im Einsatz

“Wir sind froh, dass wir den Einsatz nach 24 Stunden beenden konnten”, sagte Scherscher. Insgesamt standen 135 Beamte der Cobra und 200 Exekutivkräfte im Einsatz. Das Gebäude sei von den Beamten vollständig untersucht worden, es könne davon ausgegangen werden, dass sich nichts Gefährliches mehr darin befindet. Die Durchsuchung des Anwesens, es war zweigeschoßig, sehr verwinkelt mit zahlreichen Räumen und sehr vollgeräumt, war äußerst kompliziert und risikoreich.

APA/ Hochmuth
APA/ Hochmuth ©Foto: APA/ Hochmuth

Entsprechend vorsichtig ging man vor: Der Täter hätte “hinter jeder Ecke lauern können”. “Bei der Durchsuchung hat es keinen Schusswechsel gegeben.” Dazu war es laut dem Sprecher jedoch in den Morgenstunden gekommen.

Das Feuer dürfte gelegt worden sein, und habe bereits längere Zeit gebrannt, als die Cobra den Geheimraum entdeckte. Dieser befand sich im Kellergeschoß. Wozu der Raum genutzt wurde, konnte Scherscher nicht sagen. “Das Haus ist vollständig durchsucht.” Informationen über Waffen gab es vorerst keine, da der Zweck der Durchsuchung das Auffinden des mutmaßlichen Schützen war.

Zuvor waren drei gepanzerte Fahrzeuge des Bundesheeres auf dem zur Ortschaft Großpriel gehörenden Vierkanthof vorgefahren. In zwei Schützen- und einem Pionierpanzer aus der Kaserne Melk befanden sich Cobra-Kräfte, die das weitläufige Anwesen nach dem Verdächtigen durchsuchten. Die Panzerfahrzeuge wurden eingesetzt, weil sie den besten Schutz bei der Annäherung boten.

55-Jähriger trieb als Wilderer sein Unwesen

Bei dem Verdächtigen handelt es sich um Alois H., einen alleinlebenden Mann, einen Jäger, der legal mehrere Waffen, vor allem für die Jagd, besaß. Er sei bisher nie polizeilich auffällig gewesen.

APA/ Repro Paul Plutsch
APA/ Repro Paul Plutsch ©Foto: APA/ Repro Paul Plutsch

Mittlerweile gilt es nach der APA vorliegenden Informationen als belegt, dass es sich bei dem 55-Jährigen um einen Wilderer handle, der seit längerem in der Gegend sein Unwesen getrieben haben soll. Warum der Jäger heimlich gewildert habe, erklärte ein Sprecher so: “Weil er in seinem eigenen Revier keine Hirsche hat.” Zuvor habe gegen den Transportunternehmer aber kein Verdacht bestanden, die Ermittlungen liefen gegen unbekannte Täter.

Verfolgungsjagd und Geiselnahme

Seinen Ausgang nahm das Blutbad in der Nähe von Annaberg (Bezirk Lilienfeld): Die Polizei führte eine nächtliche Überwachungsaktion gegen Wilderer durch. Straßensperren wurden errichtet, und zwei Cobra-Beamte versuchten, den Geländewagen eines Verdächtigen zu stoppen. Die Sondereinheit war nach den jahrelangen schweren Wildereidelikten in der Gegend in die Fahndungsmaßnahmen nach illegalen Schützen eingebunden.

Der Wagen durchbrach bei Annaberg bei der L101 eine Straßensperre, der Lenker flüchtete Richtung Äußere Schmelz. “Dort hat der Täter plötzlich und unvermittelt das Feuer eröffnet”, sagte Roland Scherscher vom Landespolizeikommando Niederösterreich. Dabei wurde ein Polizist getroffen, er verstarb später im Landeskrankenhaus St. Pölten. Nahe dem dort liegenden Sägewerk schoss der Mann auf eine zu Hilfe eilende Rettung, ein Sanitäter und ein Polizist wurden verletzt, der Rotkreuz-Mitarbeiter starb.

Geisel tot auf Gehöft gefunden

Der Schütze flüchtete zu Fuß in Richtung Lassinghof, wo er bei einer Straßensperre einen weiteren Polizisten erschoss. Er kaperte ein Polizeiauto mit einem Beamten als Geisel und raste zu seinem Wohnhaus in Großpriel nahe Melk. Ein Großaufgebot an Einsatzkräften umstellte seit Dienstag früh den auf einer Anhöhe gelegenen Vierkanthof, die Umgebung wurde großräumig abgeriegelt. Am Nachmittag fand man die Geisel tot nahe des Wohnhauses in einer Scheune. Die Leiche des Streifenpolizisten wurde mithilfe von Panzerfahrzeugen geborgen.

Amoklauf fordert vier Menschenleben

Die Opfer waren allesamt Familienväter: Auf Seite der Polizei starben der 38-jährige Revierinspektor Roman Baumgartner, der für die Cobra im Einsatz stand, sowie zwei Polizisten, die als Gruppeninspektoren im Bezirk Scheibbs tätig waren, Manfred Daurer (44) und Johann Ecker (51) Rotkreuz-Rettungssanitäter Johann Dorfwirth, 70 Jahre alt und 32 Jahre im Dienst, verlor ebenfalls sein Leben (v.l.n.r.):

APA/ LPD NÖ/ RK NÖ Lilienfeld
APA/ LPD NÖ/ RK NÖ Lilienfeld ©APA/ LPD NÖ/ RK NÖ Lilienfeld

Seit 2008 Ermittlungen wegen Wilderei

Die Polizei ermittelt seit 2008 in mindestens acht Fällen von Wilderei in Niederösterreich und der Steiermark. Im März 2011 war ein Wilderer von einem Jäger in Bezirk Melk auf frischer Tat ertappt worden. Der Verdächtige attackierte den Waidmann und flüchtete zu Fuß, sein Auto wurde sichergestellt. Da der Mann gestohlene Kennzeichen verwendet hatte, blieb er unerkannt. Ob es sich bei dem 55-Jährigen nun um den seit Jahren gesuchten Wilderer handelt, konnte Scherscher vom LPK-NÖ nicht bestätigen.

Ermittler sichern Spuren in Anwesen des Schützen

Mittwoch früh nahmen die Ermittler die Spurensicherung im Anwesen des 55-jährigen Schützen auf. Seit dem Zugriff Dienstagabend wird das Anwesen in Großpriel nahe Melk durchsucht. Die Polizei hatte direkt bei der Einfahrt zum Hof eine Sperre errichtet, auf Anordnung der Staatsanwaltschaft durften die dutzenden Medienvertreter, die vor dem Vierkanthof Stellung bezogen hatten, nicht auf das Areal.

Mittels DNA wird nun geklärt, ob es sich bei dem in dem Gebäude entdeckten Toten tatsächlich um den Schützen handelt. Die Polizei geht jedoch “mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit” davon aus. Die Leichen der Opfer werden obduziert, die sichergestellten Projektile analysiert. Die akribische Aufarbeitung werde einige Zeit dauern, so Baumschlager. Zahlreiche Ermittler des Landeskriminalamtes und der Tatortgruppe waren seit den Nachtstunden im Haus im Einsatz.

APA/ Jäger
APA/ Jäger ©Foto: APA/ Jäger

Hinweise auf weitere Straftaten gefunden

Der Wilderer könnte weitere Straftaten begangen haben. “Es wurden Gegenstände im Haus sichergestellt, die auf vorangegangene Straftaten schließen lassen”, sagte ein Polizeisprecher der APA. Dazu zählen laut Sprecher Johann Baumschlager Langwaffen und mehrere gestohlene Kennzeichen. Unklar blieb zunächst, welche Waffen im Vierkanthof des 55-Jährigen sichergestellt worden sind.

Waffen im “dreistelligen Bereich” 

Im Keller von Alois H. wurde ein “umfangreiches Waffenarsenal im dreistelligen Bereich” sichergestellt, sagte der stellvertretende Kommandant der Cobra, Oberst Walter Weninger, Mittwochmittag in einem ORF-Interview. Im Zuge des Einsatzes habe der Mann von “vielen Waffen” Gebrauch gemacht”, so Weninger.

Bis zum Fund der Leiche des dritten getöteten Polizisten am Dienstagnachmittag sei man bei der Operation “von einer Geiselnahme ausgegangen”. Dann wurde das taktische Konzept geändert. Zuerst habe man auch überprüfen müssen, ob sich definitiv keine “Sprengfallen im oder um das Gebäude befinden”, sagte Weninger.

Details zum Einsatz der Cobra

Die Einsatzkräfte wurden während des belastenden Einsatzes von einer sogenannten Peer Support unterstützt. Bei diesen “Peers” handelt es sich um Ansprechpartner für die Einsatzkräfte, die speziell zur Unterstützung ausgebildet sind. Sie kennen und verstehen den Job und sprechen die gleiche Sprache. Nach Angaben des Sprechers des Einsatzkommandos Cobra, Detlev Polay waren am Dienstag rund zehn solcher Ansprechpartner für die Cobra-Leute da (Sondereinsätze mit großem Gefahrenpotential: Weiter zum Hintergrundbericht über die Cobra).

Die Cobra wurde laut Polay schließlich gegen 18.00 Uhr mit drei Panzern in den Innenhof des Vierkanthofs geschleust. “Die Annäherung war aus Gründen, weil der Mann schon vier Kollegen erschossen hat, höchst problematisch.” Somit wurde mit den Panzern ein “Mittel mit hoher Schutzqualität” gewählt. Bis Mitternacht suchten die Einsatzkräfte nach dem Schützen in dem sehr verwinkelten Gebäude. “Da kommst du immer wieder in eine Situation, die neu beurteilt werden muss. Wir kannten uns in dem Haus nicht aus.”

Einen Tag nach dem Tod ihres Kollegen hat am Mittwoch bei der Cobra “betroffen Stimmung” geherrscht, so Polay.

Angehörige der Opfer werden betreut

Der Schock nach dem Amoklauf in Niederösterreich sitzt tief: “In der Geschichte des Roten Kreuzes hat es so etwas noch nicht gegeben”, so dementsprechend auch ein Sprecher der Einsatzkräfte. Die Angehörigen der Opfer sind noch in der Nacht auf Dienstag um ca. 1.00 Uhr von den tragischen Vorfällen informiert worden und von einem Kriseninterventionsteam (KIT) betreut worden. Der Einsatz des KIT erfolgte in enger Zusammenarbeit mit dem Akut-Team Niederösterreich.  Neben den Angehörigen wurden auch Rot Kreuz-Mitarbeiter betreut, die mit den Opfern zusammengearbeitet oder sie gut gekannt hatten.

Verletzter Polizist nicht mehr im Krankenhaus

Indes befindet sich ein weiterer Polizist, der bei dem Einsatz am Dienstag verletzt worden war, auf dem Weg der Besserung. Das sagte Polizeisprecher Johann Baumschlager der APA. Der Mann war mit einem Rettungssanitäter mitgefahren, als der mutmaßliche Wilderer das Blaulichtfahrzeug unter Beschuss nahm. Der Sanitäter starb, der Polizist wurde von Splittern der zerschossenen Windschutzscheibe leicht verletzt, sagt Baumschlager. Psychisch sei er jedoch angeschlagen und wird auch psychologisch betreut, erklärte der Sprecher.

Kollektives Kopfschütteln in Großpriel

In der Heimatgemeinde des Täters unterdessen herrscht einen Tag nach der Bluttat Fassungslosigkeit und Unverständnis für den Polizeieinsatz. Völlig überflüssig sei es gewesen, den Wilderer zu jagen. Und überhaupt: Mit Wilderern habe man in der Gegend ohnehin viel Erfahrung, aber die sei bei dem Polizeieinsatz offenbar nicht zur Anwendung gekommen. “Den lass ich doch von mir aus den Hirschen schießen, oder auch zwei, dann fahr ich zu ihm nach Hause und läut an – und alles ist in Ordnung. Warum muss ich den so lange verfolgen, bis er die Nerven verliert? Man hat doch eh gewusst, was das für einer ist, dass der in so einer Situation sicher nicht aufgibt”, echauffiert sich einer der Wortführer im Gasthof Jäger in Anzendorf. Kollektive Kopfschüttelpause.

Dann werden Wilderer-Geschichten von früher ausgegraben, wie es da zugegangen sei. Von jungen Burschen ist die Rede, von reichlich Alkohol und abenteuerlichen Überschlägen mit Autos. Aber die Folgen seien niemals so verheerend gewesen wie gestern. “Jetzt reden alle nur noch über uns und nicht den Amokläufer in Washington”, meint einer, der bisher nur gelauscht hat. Stolz und Verärgerung vermischen sich dabei zu einem undefinierbaren Brei.

“Griaß di, hallo.” Ein Mann mit gatschigen Gummistiefeln betritt die Stube. Draußen grantelt der Herbst, die Wälder ringsum dünsten dichte Nebelschwaden aus, die kurvigen Straßen sind seifig vom Nieselregen. Der Mann wirft einen Blick auf den Stapel Lokalzeitungen, der nur ein Thema kennt, und grantelt ebenfalls: “Müssen die den unbedingt auf frischer Tat ertappen? Ihr könnts mir nix erzählen, da ist einiges schiefgelaufen.”

(APA/ red)

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