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"Als ‚amtlich deppat‘ abgestempelt"

Stefan kann nicht fassen, dass auch nach fast 20 Jahren immer noch die alten Gutachten zitiert werden.
Stefan kann nicht fassen, dass auch nach fast 20 Jahren immer noch die alten Gutachten zitiert werden. ©Stiplovsek
“Stefan (37) aus Bregenz wird seit fast 20 Jahren besachwaltet. Mit W&W hat er über sein Ringen mit den Behörden gesprochen.

„Ich bin in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen. Meine alleinerziehende Mutter war alkohol- und tablettensüchtig und mit der Situation, vier Kinder großzuziehen, überfordert“, erinnert sich Stefan. Er wuchs im Kinderdorf und am Jagdberg auf. Als 19-Jähriger machte er eine Erbschaft von einer Million Schilling. Daraufhin wurde (durch einen Allgemeinmediziner) ein Gutachten erstellt, das ihm eine „leichte geistige Behinderung in Folge intellektueller Minderbegabung, Bildungsdefiziten bei erlangter Sonderschulbildung, Kindesentwicklung in sozial desolaten Verhältnissen“ diagnostizierte. Darum bekam der heute 37-Jährige damals einen Sachwalter zugeteilt.

Neues Gutachten

Seither kämpft er darum, dass die Sachwalterschaft aufgehoben wird. „Ich habe auch neue Gutachten be-antragt, diese haben sich aber immer wieder direkt auf das erste bezogen“, erzählt er. Ein Arzt habe ihm dafür nur zwei Fragen gestellt. Die erste lautete: „Was ist der Unterschied zwischen einem Kind und einem Zwerg?“ Stefans Antwort: „Das Kind erziehe ich, den Zwerg stelle ich in den Garten.“ Das sei falsch, habe der Arzt erwidert, denn ein Zwerg sei ja ein kleinwüchsiger Mensch. „Ich bin davon ausgegangen, dass ein Arzt einen Kleinwüchsigen als solchen und nicht als Zwerg bezeichnen würde, was ich ihm auch gesagt habe. Diesen Einwand hat er ignoriert“, sagt er. „Als zweites wollte er von mir den Unterschied zwischen einem Fluss und einem See wissen. Meine Antwort: fließendes und stehendes Gewässer. Danach war unser Gespräch auch schon wieder vorbei.“

Das Geld ist weg

Auch vor rund einem Jahr hieß es in einem Gutachten, das vom selben Arzt erstellt wurde, wie das erste: „Die bereits 1996 erhobenen Dauerdiagnosen können sich nicht grundsätzlich ändern“, zitiert der Bregenzer aus den Unterlagen. Dennoch ist er überzeugt, dass sich in den vergangenen 18 Jahren bei ihm doch einiges verändert hat. Von einer geistigen Behinderung war im aktuellen Gutachten auch keine Rede mehr. „Wenn du einmal als ,amtlich deppat’ abgestempelt bist, hast du fast keine Chance, da wieder rauszukommen“, ist Stefan überzeugt. „Unter solchen Voraussetzungen könnte man fast jeden zweiten in die Sachwalterschaft schicken.“ Dazu kommt, dass von der Million Schilling, die er als 19-Jähriger geerbt hat, mittlerweile nur noch etwa 5000 Euro übrig seien. „Mir wurde gesagt, dass es für Rechnungen beim Jagdberg und beim Kinderdorf ausgegeben wurde. Das kann ich mir aber beim besten Willen nicht vorstellen“, sagt er. „Ich habe vor Jahren einmal angeregt, dass man das Geld doch einfach spenden solle, weil ich mir die Scherereien ersparen wollte. Das sei aber nicht so ohne Weiteres möglich.“

Aussicht auf Besserung

Er hat in den vergangenen Jahren regelmäßig gearbeitet, war aber durch eine komplikationsreiche Darmoperation und eine langwierige Knieverletzung mehrere Monate nicht mehr dazu imstande. „Jetzt, wo es mir wieder besser geht, möchte ich mein Leben endlich in die eigenen Hände nehmen. In der Sachwalterschaft ist mir das aber nicht möglich“, weiß Stefan. „Ich möchte nicht, dass Sachwalter allgemein in ein schlechtes Licht gerückt werden. Sie leisten gute und wichtige Arbeit. Dennoch weiß ich aus eigener Erfahrung und von anderen Betroffenen, dass besonders seitens der Behörden sehr voreingenommen mit Besachwalteten umgegangen wird“, versichert er. Obwohl es in den letzten drei Jahren keinen Grund gab, dass sein Sachwalter eingreifen hätte müssen, wurde auch sein letzter Antrag abgelehnt. „Ich habe jetzt eine Vereinbarung mit dem Richter. Wenn es so weitergeht, bekomme ich bei der nächsten Verhandlung eine echte Chance auf ein neues Gutachten und Beendigung der Sachwalterschaft. Dann kann mein neues, eigenes Leben endlich anfangen.“

 

„Sachwalterschaft belastet mich vor allem psychisch“

Stefan über seine Situation – „Ich möchte die Sachwalterschaft möglichst bald beenden, da sie mich vor allem psychisch belastet. Ich leide darunter, dass mein Sachwalter auch über mein Gehaltskonto verfügt. Am Ende eines Monats habe ich noch 1800 bis 2000 Euro auf dem Konto, kann mir aber nichts anschaffen und nichts leisten. Ich kann nicht einmal jemanden einladen oder spontan privat irgendwo essen gehen. Ich kann nicht einmal einen Internetvertrag über zehn Euro monatlich abschließen. Ich bin überzeugt, dass ich mein Leben selbst auf die Reihe bekomme, und hoffe, dass man mir bald auch eine Chance gibt, das zu beweisen.“

 

Wann wird eine Sachwalterschaft angeregt?

Sie kann von jedem angeregt werden, der sich Sorgen macht, dass eine Person aufgrund einer psychischen Erkrankung (dazu zählen auch Demenzerkrankungen) oder geistigen Behinderung nicht mehr in der Lage ist, bestimmte Angelegenheiten zu erledigen ohne dabei Gefahr zu laufen, benachteiligt zu werden. Meist sind dies finanzielle Angelegenheiten oder Vertretung vor Ämtern und Behörden. Manchmal wird eine Sachwalterschaft auch wegen drohender Verwahrlosungen angeregt.

Was bedeutet Sachwalterschaft allgemein?

In einem gerichtlichen Verfahren wird geprüft – unter anderen durch ein medizinisches Gutachten – ob die Voraussetzungen gegeben sind. Wenn Alternativen bestehen (Angehörigenvertretung, Vorsorgevollmacht oder andere Hilfen) wird das Verfahren eingestellt. Sonst bestellt das Gericht einen Sachwalter bzw. eine Sachwalterin. SachwalterInnen haben auf die Bedürfnisse der betroffenen Person zu achten und sie dabei zu unterstützen ein Leben nach eigenen Vorstellungen zu führen.

Wie kann man da wieder herauskommen?

Das Gericht hat regelmäßig zu überprüfen, ob die Voraussetzung für eine Sachwalterschaft noch gegeben sind. Die Betroffenen können jederzeit einen Antrag auf Einstellung stellen. Das geschieht, wenn die medizinischen Voraussetzungen nicht mehr vorliegen oder die Angelegenheiten mit Hilfe von anderen Personen erledigt werden können.

(WANN & WO)

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